Wirtschaftskrise auf Kuba: Die Ökonomie der Insel vergreist

Auf Kuba fehlen Grundnahrungsmittel, Energie und Benzin. Immer mehr junge Menschen wandern aus – und das hat negative Folgen fürs Land.

Zwei Frauen sitzen auf einem Hausvorsprung in der Sonne. Zwischen ihnen steht an der türkisen Hauswand "Tu eres Robocop en tacones".

Junge Menschen sucht man in Kuba oft vergebens, wie hier in der Hauptstadt Havanna Foto: Alejandro Ernesto/ddp

CÁRDENAS/HAVANNA taz | Cárdenas heißt die Hafenstadt gleich um die Ecke des kubanischen Tourismus-Hotspots Varadero. Die Stadt mit mehr als 100.000 Ein­woh­ne­r:in­nen war noch in den 1950er Jahren eine prosperierende Hafenstadt mit großen Lagerhäusern, moderner Bahnstation und großer Rumfabrik. Lange vorbei, von den alten Hafenanlagen sind nur noch Ruinen übrig, der Jugendstil-Bahnhof ist ausgeweidet und ein paar rostige Waggons stehen auf den Gleisen.

Für Rita García ist das Teil der prekären Realität der Hafenstadt, die sie zu lindern sucht. Jeden Tag liefert das christliche Zentrum für Reflexion und Dialog (CCRD), dem sie als Direktorin vorsteht, 120 Mahlzeiten auf Rädern aus, um alleinstehende Rent­ne­r:in­nen zu versorgen. „Der Bedarf ist immens, denn die Auswanderung ist in Kuba eines der omnipräsenten Themen“, sagt García. „Die Jungen gehen, die Alten bleiben und das haben auch wir hier am CCRD zu spüren bekommen. Viele Mit­ar­bei­te­r:in­nen emigrierten, wir mussten uns fast vollkommen neu organisieren.“

Auswanderung aus Perspektivlosigkeit prägt die Insel seit dem November 2021. Überalterung ist ein immer sichtbareres Phänomen und es dämpft die Zukunftsperspektiven der Inselökonomie, so Omar Everleny Pérez. Er lebt in Miramar, einem Stadtteil der Hauptstadt Havanna, und analysiert die volkswirtschaftliche Situation auf der Insel. Lange war Pérez leitender Wissenschaftler am Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC), seit ein paar Jahren ist er für externe Universitäten und Medien im Einsatz. „2022 und 2023 sind vorläufigen Zahlen zufolge rund 500.000 Kubaner und Kubanerinnen ausgewandert – fast alle jung, gut ausgebildet und auf der Suche nach Perspektiven“, sagt Pérez.

Perspektiven sehen viele auf der Insel nicht mehr, wo der Mangel an allen Ecken und Enden kaum zu übersehen ist. „No hay“ – auf Deutsch: „gibt es nicht“ – steht in Kuba immer wieder auf aushängenden Pappschildern, ob an Tankstellen, im Lebensmittelladen an der Ecke oder im Supermarkt. Die Regierung von Präsident Miguel Díaz-Canel, der jüngst im befreundeten Iran weilte und auf neue Kredite hofft, vertröstet stoisch auf bessere Zeiten. Das macht viele mürbe. Beleg dafür ist, so Omar Everleny Pérez, dass die Menschen anders als früher ohne Rückflugticket gehen. „Wer auswandert, versilbert derzeit alles für den Neustart in den USA oder anderswo.“ In den Vereinigten Staaten kamen allein im Oktober dieses Jahres mehr als 18.000 Ku­ba­ne­r:in­nen an, so die US-Behörden.

Der kubanische Traum vom Leben in den USA

Die werden meist durchgewunken, auch wenn der über Jahrzehnte geltende Sonderstatus für Menschen aus Kuba im Jahr 2017 durch Barack Obama eingeschränkt wurde. Am kubanischen Traum vom besseren Leben in den USA hat das nichts geändert. Dorthin emigrieren derzeit rund 80 Prozent, die restlichen 20 Prozent verteilen sich auf Länder wie Spanien, Panama, aber auch Russland oder Serbien, weil Ku­ba­ne­r:in­nen dort ohne Visum einreisen dürfen.

Auf der Insel, die ökonomisch weit vom Niveau vor der Coronapandemie entfernt ist, vertieft die Auswanderung die latente ökonomische Krise. Gerade einmal 1,7 Prozent Wachstum werden für 2023 erwartet, die Prognosen für 2024 sind nicht besser. Ein Grund ist, dass der Tourismus nicht wieder auf Touren kommt. Mit 3,5 Millionen Be­su­che­r:in­nen hat die Regierung in Havanna 2023 geplant. Doch es wurden nicht mehr als 2,2 bis 2,3 Millionen Tourist:in­nen. „Tourismus lässt sich nicht vom Rest der Wirtschaft abkoppeln. Wenn es überall an Benzin, an frischen Nahrungsmitteln fehlt, bekommt das auch der Tourismussektor zu spüren – meist indirekt“, so Everleny Pérez.

Für Reisende droht nahezu jede Fahrt mit einem Mietauto zum Problem zu werden. Wenn sie den Trip trotzdem wagen, gehören die tristen Bilder von brachliegenden Feldern, der weitgehend fehlenden produktiven Infrastruktur, von Orten ohne Kinder und Jugendliche dazu. „Der Anteil der über Sechzigjährigen wird in drei, vier Jahren bei rund 30 Prozent liegen“, sagt Pérez. Doch bei anhaltender Auswanderung könnte es noch schneller gehen.

Kubanische Regierung scheut Reformen

Die Inselökonomie überaltert, Fachkräfte fehlen. Selbst im Tourismus sind gut ausgebildete Servicekräfte wie Magdalia Pérez aus Cárdenas selten. Die Vierzigjährige würde nur zu gern mit ihren beiden Kindern ausreisen, denn sie hat die Hoffnung verloren, dass sich in Kuba trotz aller Reformen wirklich etwas ändern wird. Das treibt viele ins Ausland.

Pavel Vidal, kubanischer Finanzexperte

„Kuba braucht frisches Geld. Doch kein Land traut dem Wirtschaftsmodell der Insel“

In den letzten Jahren sind in Kuba rund 9.000 kleine und mittlere Unternehmen entstanden, die wie „AlaMesa“ oder „123Encargo“ Lebensmittel an die Tür liefern. Doch nur wer harte Devisen von Angehörigen bekommt, kann sich den Service leisten. Pavel Vidal ist Stammkunde. „Ich versorge meine Eltern auf diesem Weg mit allem Nötigsten“, so der im kolumbianischen Cali lebende kubanische Finanzexperte.

Er hat wenig Hoffnung, dass sich an den Eckdaten der Insel in nächster Zeit etwas ändern wird. „Kuba braucht frisches Geld. Doch kein Land, auch nicht die politischen Freunde, traut dem Wirtschaftsmodell der Insel – es ist ein wie ein Fass ohne Boden“, meint Vidal und verweist auf die letzten Schuldenverhandlungen mit den Gläubigerstaaten des Pariser Clubs im August.

Die gewährten zwar einen erneuten Zahlungsaufschub, aber die Schulden sind schon wieder auf fast 5 Milliarden US-Dollar angewachsen. Zudem schreckte die Regierung von Díaz-Canel in den letzten Jahren immer wieder vor tiefgreifenden Reformen zurück. So steht die Inselökonomie weiter am Abgrund und die Zahl der Auswanderwilligen wird nicht kleiner.

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