Wirtschaftskrise in Brasilien: Warten auf Besserung

Brasilien steckt in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit 70 Jahren. Das Spardiktat der Regierung trifft vor allem sozial Schwache und Frauen.

Ein Mann macht eine kurze Pause beim Sammeln von Blechdosen nach dem Karnevalsumzug in Rio de Janeiro

Die Brasilianer sind politikmüde aufgrund endloser Korruptionsskandale Foto: dpa

RIO DE JANEIRO taz | „Du siehst viel mehr Menschen auf der Straße wohnen. Es wird mehr geschnorrt. Viele meiner Bekannten haben ihren Job verloren. Alle sparen: billigere Lebensmittel, Verzicht auf Krankenversicherung, statt Bus jetzt zu Fuß gehen.“

So erzählt es Sérgio Fonseca, Pfleger, in einem Kinderkrankenhaus in Rio de Janeiro. Er fürchtet um seinen Job. „Alle sind betroffen, vom Arzt bis zur Putzkraft“, sagt er. Das Schlimmste sei jedoch die schlechte Stimmung, die sich im ganzen Land ausgebreitet hat und alle zu lähmen scheint, sagt Fonseca.

Die Wirtschaftskrise in Brasilien ist längst im Alltag angekommen. Diese Woche haben neue Zahlen belegt, was die meisten spüren: Um 3,6 Prozent sank das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr, in 2015 waren es minus 3,8 Prozent. Pro Kopf ging die Wirtschaftskraft seit 2014 sogar um 9,1 Prozent zurück. Arbeitslosigkeit sowie die Verschuldung privater und öffentlicher Haushalte sind auf Rekordniveau gestiegen. Das Statistikinstitut konstatiert die schwerste Krise seit den 40ern.

Finanzminister Henrique Meirelles bezeichnete die Veröffentlichung der dramatischen Zahlen als „Blick in den Rückspiegel“. Brasilien sei wieder auf Wachstumskurs, in 2017 würden schwarze Zahlen geschrieben. Das Vertrauen in die brasilianische Wirtschaft sei zurückgekehrt, erstmals habe die Industrie wieder Arbeitsplätze geschaffen.

Schuld an dem Desaster sei die Mitte vergangenen Jahres mit Hilfe eines umstrittenen Amtsenthebungsverfahrens geschasste Expräsidentin Dilma Rousseff. Sie habe die Rolle des Staates in der Ökonomie aufgebauscht, mit Subventionen den Markt verzerrt und die Schulden in die Höhe getrieben. Nun müsse rigoros gespart werden.

Einzig positiv: Senkung von Zinsen und Inflation

Rousseffs Arbeiterpartei PT und ihr nahe stehende Gewerkschaften glauben, dass diese liberale Rezeptur die Krise verlängert und vor allem für die Ärmeren verschlimmert. Sie verweisen auf das hohe Wachstum in Rousseffs erster Amtszeit bis 2014 und machen in erster Linie den Einbruch der internationalen Rohstoffpreise für die Probleme verantwortlich.

Die meisten Brasilianer, politikmüde auch aufgrund endloser Korruptionsskandale, warten auf Besserung. Einzige wirklich positive Signale der letzten Monate sind eine Senkung von Zinsen und Inflation, die seit 2015 bei rund 10 Prozent lag.

Die Regierung unter Präsident Michel Temer hat bereits beschlossen, alle öffentlichen Ausgaben für die kommenden 20 Jahre zu deckeln. Sie dürfen in Zukunft nur um den Wert der Vorjahresinflation steigen, weswegen Kritiker vor Einschnitten bei Bildung und Gesundheit warnen.

Nun soll es eine Rentenreform geben. Vielen Menschen, gerade in ärmeren Regionen, droht damit der Verlust einer Ruhestandssicherung. Frauen, denen die Verfassung von 1988 aufgrund ihrer Mehrarbeit im Haushalt grundsätzlich einen früheren Renteneintritt ermöglicht, sollen in Zukunft wieder schlechter gestellt werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.