Zwangsarbeit in Berlin: „Berlin sei verdammt“

Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin erinnert mit einer Ausstellung an die Widerstandsgruppe um Konstantin Žadkĕvič.

Konstantin Žadkĕvič mit seiner Frau Tamara in Prag

Konstantin Žadkĕvič mit seiner Frau Tamara in Prag Foto: Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit

BERLIN taz | Galina Romanowa hatte Mut bewiesen. Sie hatte sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen, deren Ziel es war, die in und um Berlin schuftenden ausländischen Zwangsarbeiter miteinander zu vernetzen und auf einen Sturz des NS-Regimes vorzubereiten.

Als Ärztin wusste Romanowa um die furchtbaren Gesundheitsverhältnisse in den Barackenlagern, wo Russen, Ukrainer und Belarussen noch schlechter gestellt waren als die Arbeiter aus den besetzten Ländern Westeuropas. Auch Romanowa war Anfang der 1940er Jahre nach Deutschland deportiert worden, zur Erhaltung der Arbeitskraft der Arbeiter.

„Die Verpflegung war unzureichend und schlecht und es fand sich sogar Sand im Essen, so dass Lagerinsassen unmöglich mit der Verpflegung auskommen konnten. Auch Kranke, die arbeitsunfähig waren, weil sie geschwollene Füße oder andere Krankheiten hatten, mussten trotzdem auf Anordnung der Lagerleitung an ihren Arbeitsplatz gehen.“ So beschrieb Romanowa in einem Gestapo-Verhör die Verhältnisse in Lagern in Oranienburg und Wildau.

Galina Romanowa war eine junge Frau von 25 Jahren. Sie wollte leben und sollte sterben, im April 1944 wurde sie vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Die einzige Möglichkeit der Rettung bestand in einer Begnadigung. Romanowa schrieb daher an Adolf Hitler: „Ich bitte um Gnade. Ich bitte um Umwandlung in eine Zuchthausstrafe. Es ist dies meine erste Strafe.“

Dem Gesuch wurde nicht entsprochen. Am 3. November 1944 starb die Ukrainerin Galina Romanowa unter dem Fallbeil im Plötzensee.

Kleine Gruppe von rund zwölf Leuten

In diesen Tagen kann man ihrer Geschichte und der ihrer Mitstreiter begegnen. Im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit ist eine kleine, aber feine Sonderausstellung zu sehen. „Žadkěvič und andere. Arbeit, Zwang und Widerstand“ lautet ihr Titel.

Konstantin Žadkěvič lautete der Name des Mannes, der die Gruppe begründete. Es handelte sich nicht um eine große Organisation, bekannt sind die Namen von etwa einem Dutzend Menschen. Es war nicht der einzige Versuch von Zwangsarbeitern im Nazi-Reich, sich gegen das Regime zu wehren. „Brüderliche Zusammenarbeit der Kriegsgefangenen“ hieß eine andere, viel größere Gruppe um inhaftierte Sowjetsoldaten. Auch sie wurde von der Gestapo zerschlagen.

Konstantin Žadkěvič war kein Soldat, sondern Chemiker – und er handelte nicht im Sinne Stalins oder einer anderen Parteigröße. Der Russe war mit seiner Familie schon als Zehnjähriger aus der Sowjetunion geflohen und hatte später in Prag Chemie studiert. Nach dem Einmarsch der Deutschen und der Schließung seiner Universität 1939 nahm er ein Jahr später einen Job bei einer Firma in Tempelhof an – und begegnete in der Reichshauptstadt dem Elend der Tausenden Zwangsarbeiter.

Einige seiner Mitstreiter waren ähnlich unangepasst. ­Romanowas Familie galt in der UdSSR als politisch unzuverlässig. Wladimir Boisselier war vor der Revolution nach Paris geflüchtet. Da ein privater Ort fehlte, traf man sich in S- und U-Bahnhöfen. Es gelang der Gruppe, Kontakte zu französischen Zwangsarbeitern herzustellen. Einer von ihnen hieß Jean Cochon. In der Ausstellung findet sich dieses Gedicht von ihm:

„Oh mein schönes Land,

Mein Herz ist verwundet.

Ich habe die Hoffnung verloren, dich wiederzusehen.

Berlin sei verdammt, ich will Paris wiedersehen.

Es ist mein Paradies, das Glück, die Freunde.“

Konstantin Žadkěvič knüpfte Kontakte zur deutschen Widerstandsgruppe „Europäische Union“ um das Ehepaar Gros­curth und Robert Havemann. Der Name war Programm. Die Aktivisten der Europäischen Union plädierten für den Zusammenschluss der europäischen Staaten bei einem sozialistischen, nicht sowjetischen Programm.

Vergessene Widerstandskämpfer

Wie weit der Widerstand von Žadkěvič ging? Wir wissen es nicht. Als die Europäische Union 1943 aufflog, bedeutete das auch das Ende von Žadkěvič' Gruppe. Es fanden sich Notizen für Flugblatttexte und Pläne für den Bau eines eigenen Radiosenders.

Was davon umgesetzt wurde, ist nicht bekannt. Die wichtigste Quelle der Ausstellung in der Baracke Nummer 5 des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Schöneweide besteht notgedrungen aus der Prozessakte.

Der Volksgerichtshof verurteilte Konstantin Žadkěvič, Wladimir Boisselier, Jean Cochon, Nikolai Romanenko und Galina Romanowa am 27. April 1944 zum Tode. Andere Aktivisten erhielt Haftstrafen. Einige von ihnen überlebten das NS-Regime. Ein Mann wurde freigesprochen. Er kam ins KZ Dachau.

Danach hat man die Gruppe und ihre Menschen vergessen. Im Westen, so der Ausstellungskurator Maximilian Vogel, wollte man davon nichts wissen. In der DDR erinnerte man ausschließlich an die Europäische Union. In der Sowjetunion blendete man die Inhalte aus und beließ es beim Heldengedenken.

Erst jetzt sind Konstantin Žadkěvič, Galina Romanowa und die anderen in Berlin wenigstens in der Erinnerung präsent.

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