Zwangsräumung in Bremen: Spontaner Protest unerwünscht

Einem Mann droht Strafe, weil er eine Spontandemo gegen eine Zwangsräumung angemeldet hat. „Kriminalisierung von Protest" nennen das Juristen.

Ein Mensch ist von hinten zu sehen. Auf seiner Jeans-Weste steht "STOP ZWANGSRÄUMUNGEN". Im Hintergrund stehen Polizisten und andere Demonstranten.

Sich als Anmelder zur Verfügung zu stellen, kann böse enden: Demo gegen Zwangsräumungen Foto: Paul Zinken/dpa

HAMBURG taz | Weil Otto Schulte* eine Demo nicht rechtzeitig angemeldet haben soll, hat die Bremer Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl über 600 Euro gegen ihn erlassen. Ausgangspunkt der Demo am 13. Juli 2021 war eine Zwangsräumung. Einem Mieter, der seit 2019 in einer Wohnung im Bremer Viertel lebte, war gekündigt worden, nachdem er wegen gesundheitlicher Problemen nicht auf Briefe des Eigentümers reagiert hatte.

Rund 60 Menschen versammelten sich spontan, um gegen die Räumung zu protestieren, darunter auch Otto Schulte.

Nun wird Schulte von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, „nach entsprechender Vorankündigung in sozialen Medien als Verantwortlicher die Zusammenkunft von mindestens 60 Personen organisiert und koordiniert zu haben“. Die Demo soll laut Strafbefehl den Zweck gehabt haben, „die Zwangsräumung zu verhindern“.

Laut Bundesversammlungsgesetz müssen geplante Versammlungen mindestens 48 Stunden vor Bekanntgabe angemeldet werden. Dies gilt allerdings nicht für spontane Versammlungen, die auch vor Ort noch angemeldet werden können.

Demo war längst unterwegs

Für Schulte ist klar: „Der Vorwurf ist konstruiert. Es war eine spontane Ankündigung.“ Der erste Aufruf zur Kundgebung in den sozialen Medien sei erst veröffentlicht worden, als der erste Streifenwagen bereits in der Straße eingetroffen war.

Zu dem Zeitpunkt seien die Demonstrierenden schon seit gut 45 Minuten vor Ort gewesen. Der Einsatzleiter der Polizei habe dann einen Ansprechpartner unter den Protestierenden gesucht, sagt Schulte. Er habe sich „auf Bitte des Einsatzleiters“ zur Verfügung gestellt, die spontane Kundgebung anzumelden.

Für Schulte ist der Strafbefehl ein Versuch, „die Arbeit des Bündnisses zu kriminalisieren“. Das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, Wohnraum zu erhalten und gemeinsam mit Ver­mie­te­r*in­nen und Mie­te­r*in­nen Lösungen für Konflikte zu finden. Es hatte bei Twitter spontan dazu aufgerufen, die Kundgebung zu unterstützen.

Gegen den Strafbefehl hat Schulte Einspruch erhoben. Sein Anwalt Jan Lam hält das Verfahren für „absurd“. Es könne nicht sein, dass die Polizei jemanden darum bittet, als Versammlungsleiter zu agieren „und dann springt jemand in die Bresche und sorgt für einen geordneten Ablauf und wird dafür belangt“.

Grundrecht der Versammlungsfreiheit

Das sei auch nicht im Sinne der Po­li­zis­t*in­nen vor Ort, denn gerade bei spontanen Versammlungen sei es wichtig, dass es Ver­samm­lungs­lei­te­r*in­nen gibt, die für einen geordneten Ablauf sorgen. „So etwas habe ich in dieser Art noch nie erlebt“ sagt Lam. Es gehe bei dem Verfahren auch nicht um die Umsetzung von Recht: „Dahinter steckt die Kriminalisierung einer politisch unerwünschten Bewegung“, sagt der Anwalt.

Der Bremer Jurist Tore Vetter weist auf die verfassungsrechtlichen Probleme des Falls hin. Die Anmeldungspflicht des Bundesversammlungsgesetzes verstoße eigentlich gegen den Wortlaut des Artikels 8 des Grundgesetzes, wonach die Versammlungsfreiheit „ohne Anmeldung oder Erlaubnis“ besteht.

Die Frage, ob die Anmeldungspflicht überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sei daher unter Ver­fas­sungs­ju­ris­t*in­nen umstritten. Laut Bundesverfassungsgericht, so erklärt es Vetter, ist die Anmeldepflicht als Einschränkung bei Versammlungen „unter freiem Himmel“ dennoch grundsätzlich verfassungsgemäß, weil sie auch deren Durchführung zugute komme, etwa wenn zum Beispiel Straßen gesperrt werden müssten.

Spontane Versammlungen verfassungsrechtlich gedeckt

Das Bundesverfassungsgericht habe sein Einverständnis für die Anmeldungspflicht aber nur gegeben, wenn es weiterhin auch die Möglichkeit gibt, wie in dem Bremer Fall, sogenannte Spontanversammlungen abzuhalten, bei denen die Anmeldungsfrist nicht eingehalten werden könne, sagt Vetter.

Dass in Schultes Fall Strafbefehl ergangen ist, sieht Vetter kritisch. Es passe zu der Stimmung, die der Jurist etwa im Diskurs um die „Letzte Generation“ wahrnimmt: „Die grundsätzliche Wertung der Versammlungsfreiheit als fundamentales demokratisches Grundrecht scheint in Vergessenheit geraten.“

„Wir werden uns von diesem Strafverfahren nicht einschüchtern lassen“, sagt Bahne Michels vom „Bündnis gegen Zwangsräumungen“. Wie „aggressiv“ der Staat auf dessen Anliegen reagiere, zeige aber auch, „wie nah wir am Kern des Problems sind“.

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