Jobs vom Senat: Ene, mene, muh, und drin bist du

Der "öffentliche geförderte Beschäftigungssektor" ist das Lieblingsprojekt der Linken. Doch die Kriterien sind rigide, viele bleiben ausgeschlossen. Das Projekt taugt dennoch als Vorzeigemodell - es zeigt, wie es besser nicht gemacht wird.

Die öffentlich geförderten Arbeitskräfte sollen auch zur Begleitung von SeniorInnen eingesetzt werden Bild: AP

Bis zum Jahr 2010 will der rot-rote Senat bis zu 9.000 Stellen für Langzeitarbeitslose in Berlin schaffen. Die sollen dann sinnvolle Aufgaben erledigen, um die sich derzeit niemand kümmert. Die Menschen sollen zum Beispiel als Verkehrsbegleiter hilfebedürftigen Bürgern an Bahnhöfen mit dem Gepäck helfen und Touristen Tipps zur Wahl des richtigen Tickets geben. Andere sollen als Mobilitätshelfer Behinderte begleiten. Oder Einwanderer unterstützen. Die ehemals Arbeitslosen erhalten 1.300 Euro monatlich brutto. Bisher haben rund 2.000 Menschen über das Programm einen Job gefunden. HEI

Ingrid Bordel gehört zu den Gewinnern des staatlich finanzierten Arbeitsbeschaffungsprogrammes des Senates: Sie hat wieder Arbeit und ein richtiges Einkommen statt Hartz IV. Ingrid Bordel arbeitet im Frauenzentrum Paula Panke in Pankow und betreut Kinder von Müttern, die früh am Morgen oder spät am Abend arbeiten müssen. Eine Mutter zum Beispiel arbeitet bei der Bahn und muss einmal in der Woche um 4 Uhr aus dem Haus.

Dann kommt Ingrid Bordel um 3.30 Uhr, weckt den siebenjährigen Sohn um 6.15 Uhr und bringt ihn zur Kita. Sie betreut abends Kinder, insgesamt 38,5 Stunden pro Woche. "Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können", sagt sie.

Die 50-Jährige hatte in der DDR Fachverkäuferin für Möbel gelernt, 1986 und 1989 zwei Kinder geboren und "im Westen keine Chance, mit den Kindern Arbeit zu finden". Später war sie Buchhalterin, wurde 1997 entlassen und war dann arbeitslos. Jetzt verdient sie 1.300 Euro brutto im Monat und hat eine Aufgabe, die sie glücklich macht.

Gewinner haben Gesichter

Die Familien müssen für die Betreuung nur wenige Euro pro Stunde zahlen. Das klappt nur, weil die Einrichtung den Lohn für Ingrid Bordel nicht selbst finanzieren muss, sondern vom Staat bekommt. Denn ihr Job ist Teil des neuen staatlich finanzierten Arbeitsbeschaffungsprogrammes des Senates.

Es geht bei diesem "öffentlich geförderten Beschäftigungssektor" um weit mehr als einen neuen Job für Ingrid Bordel und um bessere Kinderbetreuung in Pankow. Es geht darum, wie Deutschland mit seinen Arbeitslosen umgeht.

Ingrid Bordel ist für den rot-roten Senat ein Beispiel dafür, wie eine andere Arbeitsmarktpolitik aussehen kann. "Wir wollen zeigen, dass man auch Arbeit finanzieren kann statt Arbeitslosigkeit", sagt Arbeits- und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner. Knake-Werner ist Mitglied der Linkspartei, die lehnt Hartz IV ab. "Die kurzatmige, perspektivlose Arbeitsmarktpolitik ist gescheitert", sagt sie.

Es ist eines der Vorzeigeprojekte ihrer Partei in Berlin. Die Menschen, die von dem Programm profitieren, haben Namen und Gesichter. Knake-Werner hat, kurz vor Beginn ihres Sommerurlaubes, für Journalisten eine Tour zu diesen Menschen organisiert. Zu den Gewinnern gehört etwa Martina Podloch, früher arbeitslos, jetzt arbeitet sie bei "Heinzelmännchen" in Köpenick und hilft Rentnern. Sie kauft für die 80-jährige Helga Pagelt ein und liest ihr aus der Zeitung vor. Auch Helga Pagelt gehört zu den Gewinnern, genau wie auch Norbert Dummer. Er hat im Flüchtlingswohnheim in der Zeughofstraße einen Job bekommen.

Es gibt aber auch Verlierer des Programmes. Menschen, die das Programm aus guten Gründen ungerecht finden. Aber diese Verlierer haben keine Namen, keine Gesichter, es gibt keine Orte, an denen sie sich treffen. Die Verlierer sind Menschen, die keine Chance haben, in das Programm hereinzukommen, weil sie die Kriterien nicht erfüllen. Die Kriterien sind ziemlich hart.

Denn erstens bekommen die Jobs nur Menschen, die schon seit mindestens zwei Jahren arbeitslos gemeldet sind. Das sind aber nur wenige. Von den derzeit 296.812 Arbeitslosen in Berlin haben 66.000 zum Beispiel einen 1-Euro-Job oder stecken in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) - sie fallen aus der Arbeitslosenstatistik. Und von den restlichen 230.576 Arbeitslosen sind nur 43.000 länger als zwei Jahre arbeitslos.

Wer einen der Jobs will, muss außerdem besonders schlechte Chancen haben, reguläre Arbeit zu finden. Wer einen der Jobs will, muss also etwa ohne Schulabschluss sein, schlecht Deutsch sprechen, obdachlos sein, Vorstrafen haben, Suchtprobleme oder hohe Schulden.

Es gibt keine Statistik darüber, wie viele der 43.000 Menschen, die seit zwei Jahren arbeitslos sind, auch solche sogenannten Vermittlungshemmnisse haben. "Jedenfalls haben die Jobcenter ziemliche Probleme damit, Leute zu finden, die die Kriterien erfüllen und auch noch auf die Stelle passen", sagt Michael Haberkorn vom Berliner Verband für Arbeit und Ausbildung. Von den 2.744 bewilligten Arbeitsplätzen sind erst weniger als 2.000 besetzt. Für die anderen Arbeitsplätze suchen die Jobcenter noch händeringend Leute. Je größer das Programm wird, desto größer wird dieses Problem werden.

In den harten Kriterien sieht auch die Senatorin Heidi Knake-Werner ein Problem. Aber die Kriterien kommen vom Bund, denn der zahlt auch einen Großteil der Kosten für das Programm, 75 Prozent.

Mit dem Bund oder nicht

Aber der Bund hat ein ganz anderes Ziel als Heidi Knake-Werner. Der Bund zahlt das Geld für einzelne Menschen, damit die wieder eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Eine Chance auf reguläre Beschäftigung ohne staatliche Zuschüsse.

Heidi Knake-Werner will dagegen gar nicht einzelne Menschen fördern, um sie auf den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. Sie will einen ganz neuen, dauerhaft staatlich finanzierten Arbeitsmarkt schaffen.

Heidi Knake-Werner hat also das Bundesprogramm gekapert, eine neue Flagge aufgezogen und den Kurs gewechselt. Und sie segelt hart am Wind: In keinem anderen Bundesland werden so viele Menschen über dieses Bundesprogramm gefördert.

Aber die Ziele des Bundes und die der Senatorin passen nicht richtig zusammen. Heidi Knake-Werner beschwert sich schon, dass die Jobcenter die Vorgaben des Bundes so "streng und unkreativ" auslegen. Sie würde gerne so viele Menschen wie möglich in ihr Programm bringen.

Das könnte noch Probleme geben. "Wir überlegen derzeit, ob wir das prüfen werden", sagt Andreas Krull, Sprecher des Bundesrechnungshofes. Die Prüfer könnten etwa wissen wollen, ob das Geld des Bundes auch wirklich für die Menschen ausgegeben wird, die der Bund damit fördern will. Und die Prüfer sind nicht bekannt dafür, sich zu freuen, wenn jemand ein Gesetz besonders kreativ auslegt.

Heidi Knake-Werner kann aber durch das Bundesprogramm die Kosten für Berlin klein halten. Von den rund 550 Millionen Euro, die das Programm von 2007 bis 2010 kostet, trägt der Bund mehr als 400 Millionen. Außerdem spart das Land an anderer Stelle: Wer einen der Jobs hat, bekommt kein Hartz IV mehr.

Außerdem streicht Heidi Knake-Werner auch 450 besonders teure ABM-Stellen. Das spart in den Jahren 2008 und 2009 zusammen 10 Millionen Euro. Unter dem Strich bleiben dann nur noch 48,6 Millionen Euro echte zusätzliche Ausgaben für den Landeshaushalt. Im Vergleich zum Gesamthaushalt - insgesamt gibt das Land in diesen vier Jahren 72,5 Milliarden Euro aus - ist das ein winziger Klacks, gerade einmal 0,07 Prozent.

Aber es gibt noch einen Grund, warum viele Arbeitslose ausgeschlossen sind. Und dafür ist Heidi Knake-Werner ganz alleine verantwortlich, denn die Stellen sollen hauptsächlich im sozialen Bereich entstehen.

Bastler bleiben draußen

Für Arbeitslose, die eher handwerklich begabt sind, gibt es dagegen nur sehr wenige Stellen. Der Grund: Sobald jemand in einem staatlich finanzierten Job eine Wand streicht, schlägt die Handwerkskammer Alarm.

Die Kammer befürchtet, dass es weniger Aufträge für Handwerksbetriebe gibt, wenn auf einmal Arbeitslose die Arbeiten machen, die sonst Handwerker machen. Heidi Knake-Werner sieht das nicht so: "Die machen ja nur Arbeiten, die sonst überhaupt nicht gemacht werden." Trotzdem scheut sie die Auseinandersetzung mit den Handwerkern und konzentriert sich bei dem Programm auf soziale Arbeiten. Eine Sozialarbeiterkammer, die protestieren könnte, gibt es nicht.

Ungerecht behandelt können sich auch die Menschen fühlen, die in einer herkömmlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme stecken. Sie erhalten je nach Berufsabschluss zwischen 900 und 1.300 Euro im Monat. In dem neuen Programm bekommen alle Beschäftigten dagegen einheitlich 1.300 Euro.

Der Grund: Da sich der Senat für einen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde einsetzt, will er auch selbst diesen Lohn zahlen. Bei ABM hat der Senat dagegen keinen Einfluss auf die Lohnhöhe.

ABM-Beschäftigte finden das ungerecht: Sie sind meist besser qualifiziert, machen anspruchsvollere Arbeiten und bekommen trotzdem weniger Geld. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Ramona Pop, spricht von einem "Elite-Programm für eine kleine ausgewählte Gruppe von Arbeitslosen". Sie findet den Mindestlohn im Prinzip richtig, aber wenn man ihn nicht für alle Menschen einführen könne, dann ergebe es keinen Sinn, ihn nur für diese eine Gruppe einzuführen. Sie findet es besser, wenn es auch in dem neuen Programm nur so viel Lohn wie bei ABM gibt. Im Gegenzug sollten dann noch mehr Menschen in das Programm aufgenommen werden - vor allem auch Handwerker.

CDU und FDP finden das Programm dagegen grundsätzlich falsch. Der Senat solle Arbeitslose fit für den ersten Arbeitsmarkt machen und alles unternehmen, mehr Betriebe nach Berlin zu holen. Dann könnten die Arbeitslosen Jobs finden.

Aber was ist mit denen, die trotzdem keinen Job finden? "Dafür habe ich noch keine Lösung gefunden", sagt Rainer-Michael Lehmann, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP im Abgeordnetenhaus.

Ob die Lösung des Senates mit dem staatlich finanzierten Arbeitsmarkt dagegen eine gute Lösung ist, ist zunehmend ungewiss. Bereits jetzt zeigt sich, dass die Koalition die stolz verkündeten Ansprüche an das Projekt nicht einhalten kann. Viele Ideen wurden vorschnell angekündigt und stellten sich dann als nicht umsetzbar heraus. Einmal veröffentlichte Heidi Knake-Werner sogar falsche Zahlen darüber, wie viele Menschen schon die geförderten Jobs haben; sie musste die Zahlen kurz darauf nach unten korrigieren.

Es spricht viel dafür, dass die ganze Sache im Jahr 2010 - bis dahin sollen bis zu 9.000 Jobs entstanden sein - kein Modell ist, das man gerne vorzeigt. Die Probleme bei der Umsetzung könnten sogar dazu führen, dass die ganze Idee eines staatlich finanzierten Arbeitsmarkts in Misskredit gerät. Das wäre das genaue Gegenteil von dem, was der Senat eigentlich erreichen will.

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