Erotikmesse trifft auf erotisierte Clubkultur

Im Pimper-Palazzo

Nach fünf Jahren Leerstand eröffnete am Freitag das „Café Moskau“ wieder – zu DDR-Zeiten Paradestück realsozialistischer Baukultur und Ort gediegener Festlichkeiten. Aktuell fällt es schwer, in dieser maroden Schachtel noch eine verfallene Schönheit zu entdecken: die Markise zerschlissen, blinde, gesprungene Fensterscheiben, die kyrillischen Buchstaben auf dem Flachdach mussten abmontiert werden.

Dafür stehen ein Porsche Turbo und ein Mercedes-Coupé, die Hauptgewinne der Verlosung, am Eingangsbereich. Die Messe für „Erotik und Lebenslust“, die trashige der Sexverkaufsmessen, fand in den vergangenen Jahren noch in der Kongresshalle am Alexanderplatz statt. Sie richtet sich an Kunden aus dem Ostteil der Stadt, angeblich haben die Bürger „in den neuen Bundesländern“ ja in Sachen käufliche Erotik immer noch einen Nachholbedarf. Die Venus 2002 – „Die Internationale Fachmesse für Internet, Multimedia und Adult Entertainment“ – hingegen residiert alle Jahre wieder im Westteil, in den Messehallen unterm Funkturm.

In der Karl-Marx-Allee ist alles noch hübsch klein übersichtlich. Auf dem Gehweg hat man ein großes Bett in Tigerfelloptik aufgestellt, drei kaum bekleidete, solariumgebräunte Frauen mit stark gelangweiltem Gesichtsausdruck liegen bäuchlings darauf und halten stoisch ihre prallen Hinterteile in die Spätsommersonne. Davor schlendern ein paar Männer unentschlossen auf und ab, irgendwie peinlich berührt vom eigenen Interesse an der Szene.

Für 18 Euro Eintritt gibt es mehrere Gutscheine. Eine Fotoerlaubniskarte (nur für private Zwecke) kostet 3 Euro extra. Drinnen tut sich auf den ersten Blick eine Gemischtwarenhandlung auf. Dessous, Vibratoren, Kondome. Wundertüten für sie und ihn. SM-Mode, erotische Massage, aber auch Heavy-Metal-Bedarf, Totenschädel, Piercings, Tattoos, Räucherstäbchen und Silberschmuck werden angeboten.

Hier sind noch ältere Ehepaare und flanierende junge Pärchen unterwegs. Aber bei den CDs und DVDs und der „erotischen Software“ sind die Männer unter sich. In dem schummrigen Raum liegen hunderte von Videokassetten und DVD-Hüllen aus, es ist eng und es riecht schlecht. Erfrischend lustig klingen wenigstens die Titel der Werke: „Pimper Palazzo“, „Rossig wie eine Stute“, „Spermaspuren im Sand“.

Das 3D-Kino macht gerade Pause, aber das Angebot „Fotos mit dem Pausenluder“ – oben ohne 7,50 Euro, nackt 10 Euro – läuft gut. Schüchtern posieren die Männer mit dem Mädchen, das sich profesionell an- und auszieht und aufmunternd den Arm um den Fotopartner schlingt.

So geht man weiter. Über den nackten Betonboden, vorbei an mit Müllsäcken verkleideten Betonpfeilern. Der Innenhof mit der verrosteten Skulptur und den nackten Bierbänken verströmt Tristesse. Beim American-Table-Dancing surren die Kameras. Die Tänzerinnen sind sehr jung, gekonnt wirbeln sie ihre zierlichen Mädchenkörper zu „From Sarah with Love“ um die silberne Discostange und lassen sich so genannte Stripdollars von unbeholfenen Männerhänden in den Glitzerslip stecken.

Eine schöne Holztreppe führt nach oben zur alten Foyerbar, dem einzigen Raum, der noch den viel beschworenen alten Ostcharme versprüht. Er ist leer, die livrierten Kellner sind unter sich. Denn die Erotikfans zieht es zu den vielen Bildschirmen, auf denen man Nahaufnahmen sieht, hauptsächlich von Körperteilen, die in andere Körperteile eingeführt werden. Still staunen die Herrengruppen angesichts dieses Naturschauspiels. Nach einer halben Stunde Erotikmesse hat man eigentlich alles gesehen, will aber auch nicht mehr sehen.

Es ist viel geklagt worden, dass es beschämend sei, das traditionsreiche „Café Moskau“ nun ausgerechnet mit einer Erotikmesse zu eröffnen. Aber was soll’s. Der neue Betreiber braucht die Miete, schließlich findet im Oktober „Urban Drift“, ein Kongress zur Zukunft der Städte, am gleichen Ort statt, und in der Nachtbar im Keller eröffnet dieses Wochenende das WMF.

Liegt es wirklich so fern, eine Trash-Erotikmesse an einem Ort abzuhalten, den man in den 90ern noch der Clubkultur zugerechnet hat? Es ist doch sowieso eine langsame, aber stete Erotisierung, nein, sogar Pornografisierung der Clubszene zu beobachten. Auf den Flyern versteckter Geheimbars schmiegen sich gerne wieder nackte Naive im Sixtieslook an eine Jukebox, schwarze Frauen mit explodierenden Brüsten zieren Plakate von Technoveranstaltungen, nackte Frauen in Masse zieren die Wände der Clubs. Weil, das ist ja schließlich lustig, Kunst, Ironie. Was den Besuchern der Erotikmesse im „Café Moskau“ ihr sexuelles „Informationsbedürfnis“, ist der Clubkultur wohl immer noch die alte Freude am Tabubruch.

Die Bilder der Love-Parade-Tänzerinnen unterscheiden sich kaum noch von den 0190-Choreografien: Busen schwenken, mittig zusammenquetschen, dummes Gesicht machen, hinteren Tangafaden in die Kamera halten. Sehr traurig und sehr zum Kotzen das alles.

CHRISTIANE RÖSINGER