Urbaner Klebstoff

Die österreichische Künstlerin Dorit Margreiter hat Los Angeles nach den Widersprüchen im Alltag aus Freizeit, Konsum und städtischem Leben abgesucht. Die Ergebnisse sind jetzt in Innsbruck zu sehen

Trotz Adornos Satz gibt es gleichwohl Graduationsstufen des weniger Falschen

von JOCHEN BECKER

Draußen herrscht in Innsbruck tiefster Winter. Doch im Innenhof des Taxispalais läuft auf einer Leinwand das Video „Long Shot (Monument Valley)“ und zeigt eine Fahrt durchs wüste, heiße Land. Die aus Film und Fernsehen bekannte Westernkulisse, vor der ein umgeworfener Tisch liegt, ziert – ähnlich einem Corporate-Identity-Konzept – auch Einladungskarte, Anzeige und Katalogcover zu Dorit Margreiters Ausstellung „Everyday Life“. Ein offizieller Kulturabgesandter der Tiroler Landesregierung spricht lobende Worte über die Wiener Künstlerin und murmelt etwas davon, dass er gerade ihre Mutter kennen gelernt habe und die Frauen Margreiter doch ganz selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft seien. Warum sagt er das, und noch dazu in diesem wohlwollenden Ton?

Die Ausstellung startet mit einer 30 Jahre alten Anzeige, auf der Fräulein Tsi Thsi in den Kulissen der Regina-Küchen („größte österreichische Küchenmöbelfabrik“) Chopsuey vorbereitet. Im Beiblatt erfährt man, dass Mutter Margreiter bei dieser Anzeige als Modell arbeitete. Eigentlich heißt sie jedoch Elaine, mag nicht besonders gerne kochen und empfindet Chopsuey als wenig authentisches Chinagericht. Schon 1972 war Küchenwerbung mit einer Migrantin offensichtlich so „selbstverständlich“, dass Mutter und Tochter vom Tiroler Kulturfunktionär noch immer darauf hingewiesen werden müssen. Wie alltäglich ist das „Everyday Life“, das Dorit Margreiter vorstellt, wenn doch immer wieder dessen Besonderheit betont wird?

Wie es auch die Ausstellung will, skizziert der programmatisch gesetzte Katalogessay „Alltag und Alltäglichkeit“ des vor zehn Jahren verstorbenen französischen Soziologen Henri Lefebvre den Bruch, den das „so genannte moderne Zeitalter“ in das tägliche Leben geschlagen hat. Der Text ist so etwas wie das Bindeglied zwischen Lefebvres langjähriger Erforschung des ebenso ländlich wie weiblich geprägten Alltagslebens und seiner kritischen Beratungstätigkeit bei Neubauten im urbanen Umfeld von Paris.

Gegen den orthodoxen Marxismus zog der Soziologe seiner Zeit die Widersprüche des Alltags heran, wie sie sich in Werbung und Konsum, Freizeit und städtischem Leben abzeichneten. Durch das „Studium des Banalen“ wäre das „Außergewöhnliche im Gewöhnlichen“ zu heben wie ein verschütteter Schatz: „Unser Vorschlag besteht darin, die moderne Welt, dieses blutige Rätsel, mit Hilfe des Alltags zu dekodieren.“

In der Tiroler Landesgalerie konzentriert sich Dorit Margreiter auf ihre verschiedenenorts entstandenen Arbeiten der letzten zwei Jahre. Im Video „Short Hills“ spricht die Künstlerin mit ihren aus Hongkong nach Los Angeles übersiedelten chinesischen Verwandten darüber, welchen Stellenwert für diese das regelmäßige Anschauen von Soaps und Sitcoms habe. Während die gleichaltrige Cousine sich auf migrantische DarstellerInnen in US-Serien bezieht, hält die Tante dank einer chinesischen Soap-Opera Kontakt mit ihrem Herkunftsland: Neben Telefonanrufen oder Flugreisen vernetzt ihr „tägliches Fenster nach Hongkong“ eine imaginäre Gemeinde. Das Video läuft auf einem transportablen DVD-Player, der auf dem hoch gebockten Landschaftsmodell der Short Hills steht.

Der erstmals ausgestellte Arbeitskomplex „Everyday Life“ untersucht in mehreren kleineren Installationen den Raum, der sich hinter einer funktionalen Moderne auftut. Ein fotografierter Farbfächer der populären „Martha Steward Everyday“-Farbpalette führt Wohlfühlfarben vom pastosen Hellblau („Forget-me-not C27“) bis zum „Sugar white H25“ vor. In ihnen wurden dann auch die Raumteiler und Monitorsockel der Ausstellung – selbst wiederum einem Ausstellungsmodul des Architekten Friedrich Kiesler entlehnt – fotogen gestrichen. Sogar an ein Bühnenpodest ist gedacht, auf dem heute Abend die Münchner Artschool-Popband FSK auftreten wird. Die Produktion – sprich Finanzierung – der Werkstücke wird dazu wie in einem Filmabspann aufgeführt.

Raumteiler sind in Farben zum Wohlfühlen gestrichen

Die Installation „I like L. A. and L. A. too“ zeigt ein Video mit der Künstlerin als behelmter Baseballschlägerin. Am Boden neben Sitzkissen läuft ein Videoband mit Interviews. Eine Frau zeigt auf einer Karte, wo sie gerne wohnen würde und wo sie es sich finanziell erlauben kann. Zu Los Angeles befragt, meint der Architainment-Konstrukteur Jon Jerde, der für seine Shopping-Malls berühmt wurde, dass die Stadt schwerlich zu umarmen sei. Deshalb müsse man etwas bauen, das sie und uns zusammenhält. Der auf dem Privatgrund der Universal Studios inszenierte „City Walk“ ist dann der „urbane Klebstoff“ einer „Entertainment City“, in der sich die BesucherInnen wie AkteurInnen auf einem Filmset fühlen können. Jugendkultur wird hier zelebriert und geplündert, doch Graffiti und Skaten, Musikmachen oder Auf-dem-Boden-Abhängen sind streng untersagt. Trotz dieser Regularien trifft sich der ethnische Mix von Los Angeles nirgends sonst so breit wie hier, weshalb die Katalogautorin Anette Baldauf auch vom „heterogensten Ort von ganz Los Angeles“ spricht. Die nach den L.-A.-Riots entstandene Fußgängerzone etabliert einen Ort ohne Herkunft, gespeist aus den Hollywoodbildern des Fernsehens. Das Schaulaufen in der rundum kontrollierten und durchmediatisierten Sozialisationmaschine wird von der Kaufkraft der Vorbeiziehenden gespeist. Hier kommt die imaginierte Stadt zu sich, nicht jedoch zu Bewusstsein.

Dorit Margreiters Ausstellung verfolgt Werbung, Architektur und Fernsehen als die wesentlichen Konstrukteure von sozialen Räumen. Doch wenn der Urbanismustheoretiker Norman Klein im Videointerview anmerkt, dass mehr und mehr Leute „im Film speisen wollen“, so groß sei die Gier nach diesen mediatisierten Räumen, verfängt sich auch die Ausstellung ein wenig in einem Fantum, das sich am Populären entlang einstellt. Dabei verliert „Everyday Life“ etwas von seinem „Misstrauen dem Heroischen“ wie dem „formal Modischen“ gegenüber, das Steven Harris als Herausgeber des Lefebvre-Texts betont.

Wenn es denn schon kein wahres Leben im Falschen gibt, wie Adorno im unfreiwilligen Exil Hollywood schrieb, so gibt es gleichwohl Graduationsstufen des weniger Falschen. Hierbei ist das Abbilden der gekünstelten Welt als Fake ein beliebtes Motiv und die Referenz auf die Helden der Moderne eine bevorzugte Strategie, Distanz zu wahren und dennoch sein Wissen um das unumgängliche Falsche zu bezeugen. Lefebvres Frage nach der modernen Welt als „blutigem Rätsel“ bleibt dabei in der Ausstellung zwar ein düsterer Maßstab, in den wohlsortierten White Cubes des Taxispalais hinterlässt sie dennoch kaum Flecken.

Bis 13. 1., Taxispalais, Innsbruck. Der Katalog „Dorit Margreiter – Everyday Life“, herausgegeben von Silvia Eiblmayr, Triton Verlag, Wien 2001, 11 €. Heute Abend spielen FSK