zwischen den rillen
: Dein Retro, mein Retro: 4 Hero schlagen dem Fortschrittszwang ein Schnippchen

Der Geist der Soul-Symphoniker

Höher, schneller, weiter? Nicht mit 4 Hero, nicht im Herbst 2001. Denn Dego und Marc, das Produzentenduo hinter 4 Hero, wirken heuer wie alternde Kulturrevolutionäre, die nach einem langen, kräftezehrenden Marsch durch die Neunziger endlich zu Hause angekommen sind; zu müde, um den Daheimgebliebenen Anekdoten von der Front zu erzählen, und zu weise und zu wissend, um nach all den gewonnenen Schlachten den Fehdehandschuh einer auf Progression pochenden Popkritik erneut aufzunehmen.

Ihren Ehrenplatz in der Hall of Fame elektronischer Musik haben sie längst sicher – Pioniertaten in Sachen Hardcore, Breakbeat und Drum ’n’ Bass sei Dank. Die Zeiten, in denen man zu ihren Tracks noch Speed ziehen konnte, bis der Arm lahmte, sie liegen lange zurück. 4 Hero im Jahr 2001 bedeutet eher, einem Herbie Hancock auf Augenhöhe alle fünfe zu geben oder Roy Ayers ins Studio zu bitten, um gleich darauf die Detroiter Techno-Überväter von Underground Resistance mit einem Remix zu beglücken. Selten hat sich In-Würde-Altern ergreifender angehört als auf „Creating Patterns“, dem neuen Album von 4 Hero.

Auf ihre (dann doch noch nicht soo) alten Tage sind sie (noch) milder geworden, die Suche nach der perfekten Harmonie von Strings und Gesang führt sie tiefer in die Siebziger als je zuvor. Noch der kleinste Percussion-Sound scheint den Geist von Curtis, Stevie und all den anderen Soul-Symphonikern zu atmen, und nicht ein einziger Würgebass löst das alte Rave-Versprechen ein, mit geringsten Mitteln die größtmögliche Menge Putz von der Kellerdecke zu pusten. Die auf „Creating Patterns“ zelebrierte Bombastik sucht andere Kanäle, sie zielt am Magen vorbei, um dann direkt ins Herz zu treffen. SOUL nannte man das früher – die Frage, ob man im Falle 4 Hero ein „21st Century“ davor setzen sollte, muss jeder für sich beantworten. Einige so noch nie gehörte Drum-Programmierungen sprechen, bei aller klassizistischen Anmut, dafür. Wie es sich für großes Emotionskino gehört, wird auf „Creating Patterns“ weder an der Ausstattung noch an der Besetzung gespart: Ursula Rucker redet Klartext, Jill Scott, die Platin-Stimme des Neo Soul, ist wie Terry Callier in Höchstform, und wenn am Ende Philadelphia’s Soul-Hoffnung Alma Hoton den Minnie-Riperton-Klassiker „Les Fleurs“ interpretiert, wird man Zeuge eines seltenen Schauspiels: die Streicher streichen, der Himmel öffnet sich und die Erlösung scheint nahe – eine Verbeugung, größer als das Original.

Das alles ist streckenweise natürlich gnadenlos retro und nichts für Menschen, die noch nie das Bedürfnis hatten, zu Marvin Gayes „Mercy Mercy Me“ einen guten Bordeaux zu entkorken, Kinder zu zeugen oder sonst etwas wirklich Vernünftiges zu tun. Die Unbedingtheit jedoch, mit der manche schreibenden Bannerträger des Fortschritts nun ihre einstige Liebe 4 Hero verstoßen, ist kaum weniger interessant als das Album selbst. Dass die De:Bug „Creating Patterns“ als „Fliegerseidentrainingsanzugsoul mit Abgrenzungspotential“ umschreibt, ist, wenn auch lustig, in etwas so sinnig, wie Sun Ra vorzuwerfen, er habe Zeit seines Lebens „Sonnenbankfunk“ produziert. Perfide wird es erst, wenn man 4 Hero’s Hommage an ihre Vorbilder und Inspirationsquellen als Rückgriff auf „alteuropäische Wertigkeitsmuster“ zu begreifen versucht und eine gut arrangierte String-Section nicht mehr Assoziationen weckt als „undemokratisch“, „vorletztes Jahrhundert“ und „Herrscherhäuser“. Man möchte am liebsten den Curtis Mayfield der bürgerbewegten „Move on up“-Phase anrufen und ihn um eine Stellungnahme zu derlei Black-Music-Verständnis bitten – von implizit mitlaufenden, längst überwunden geglaubten Primitivismus-Diskursen ganz zu schweigen.

So zeigt „Creating Patterns“ nicht nur, wie sich ein respektvoller Umgang mit einem großen musikalischen Erbe anhören kann, es demonstriert auch, über den Umweg der Rezeption, dass es zwei verschiedene Arten von Retro zu geben scheint: Die eine wird beim ersten Fender-Rhodes-Akkord vom Feld gestellt, die andere erobert mit Irokesenschnitt auch noch das letzte Ressort der Hipster-Presse. Dein Retro vs. mein Retro.

In Zeiten, in denen sich jeder Berlin-Mitte-Schmock mit Nietenarmband und Lederschlips durch seine Eighties-Reihenhaus-Jugend sampelt, um vielleicht doch noch als Overnight-Sensation eben dorthin durchgereicht zu werden, plädiere ich entschieden für die erste Variante. 4 Hero sei Dank.

CORNELIUS TITTEL

4 Hero: Creating Patterns (Motor/Universal)