Business as usual in Bankfurt

Frankfurt nach der Katastrophe: Das Finanzzentrum der Bundesrepublik steht unter Schock. Doch das Geschäft läuft weiter

aus Frankfurt am Main HEIDE PLATEN

Die Luft scheint dicker als sonst, die Menschen auf dem Rhein-Main-Flughafen bewegen sich am Morgen nach dem Attentat verhalten, vorsichtig, als wateten sie durch Sirup. Manche ziehen die Schultern hoch, beugen den Oberkörper vor, setzen dann langsam einen Fuß vor den anderen, drehen den Hals, den Kopf, die Augen abwechselnd nach rechts und links wie sicherende Tiere im Wald, als sei der Flughafen ein Dschungel, als lauere Gefahr hinter jeder Ecke.

Der Lärmpegel ist gedämpft, kaum Gesprächsgruppen, eher betretene Stille als Betroffenheit. Das Attentat verbindet nicht, sondern trennt. Die Schalter der Lufthansa-Abfertigung sind nur durch einen Irrgarten gelber Absperrbänder zu erreichen, die der American Airways verwaist. „Annullier“ steht auf dem großen elektronischen Flugtafeln in der Abflughalle C des Terminal 1 hinter den Flügen nach Boston, Los Angeles, New York, Salt Lake City, aber auch hinter denen nach Toronto, Montreal und Tel Aviv. 20 Flüge sind vom Morgen bis zum frühen Vormittag betroffen.

Ein ungutes Gefühl

Niemand beschwert sich, keiner schimpft. Aber es ist an diesem Morgen auch niemand gern in dieser Halle, in diesem Gebäude, überhaupt in der Nähe eines Flugzeugs. Das Bodenpersonal nicht, nicht die junge Frau vom Sicherheitsdienst, nicht die Passagiere. Die Menschen fühlen sich angreifbar, verletzlich.

Hinter dem Tresen von „Alfredos Espresso Bar“ läuft der Fernseher, davor steht eine Wagenburg aus Gepäckstücken. Die ungetümen Karren voller Koffer und Rucksäcke sind um eine Gruppe von 32 Hockeyspielern aus Toronto gruppiert. Die Mannschaft sitzt vorerst fest, die Hockeyschläger ragen zu Bündeln geschnürt wie Abwehrlanzen aus der geschlossenen Festung.

Mittendrin, als müssten sie geschützt werden, sitzen zwei Israelis, die nach Tel Aviv fliegen wollten. „Ich fühle mich wie in einem Film“, sagt einer von ihnen. „Nein“, sagt der andere, „das hier, das ist die Realität. Und die ist schlimmer als der Film.“

Die meisten Europa-Touristen aus den Vereinigten Staaten sind von den Fluggesellschaften samt Gepäck an ihre Urlaubsorte zurückgeschickt worden. Neben dem Bistro „Lilienthal“ in der Haupthalle des Flughafens haben sich einige auf den grauen Stühlen eingerichtet. Ein Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft: eine Nonne indischer Herkunft, ein schwarzer Banker, zwei grauhaarige Ehepaare aus Detroit, die jahrelang für diese Holidays gespart hatten.

Einige Männer kompensieren ihre Hilflosigkeit durch Fachsimpeln. Experten seien da am Werk gewesen, sagen die einen, das könne „jedes Kind am Flugsimulator lernen“, die anderen. Japaner waren es, Palästinenser, der Irak und immer wieder Ussama Bin Laden: „He wants to fight!“

Und einer sorgt dafür, dass fühlbar wird, dass Grauen von überall her kommen kann. „Charly“ nennt er sich, „simply Charly“. Nachgedacht habe er, sagt Charly, „die ganze Nacht“: „Bin Laden? Shit!“ Dieses Komplott komme „aus dem Innersten der amerikanischen Gesellschaft“. Er entwirft ein Szenario entlassener Spezialisten, betrogener Anleger und Aktionäre, zusammengeschlossen in einem „Geheimbund mit überheblicher Intelligenz“, Menschen, die Rache an dem System üben wollten, „auf dessen Verliererseite sie gelandet sind“. „Write this!“, sagt Charly, schultert seinen großen lilafarbenen Globetrotter-Rucksack, geht und hinterlässt das Gefühl der Lähmung und Ohnmacht zurück.

Kerzen im Regen

Das amerikanische Konsulat im Frankfurter Westend ist weiträumig abgesperrt. Unter einer Platane stehen Blumen, Kerzen, Teelichte zu Kreuzen geformt. Sie verlöschen im Regen. Ein junger Polizist versucht immer wieder vergeblich, sie anzuzünden. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ragt die Ruine eines Hochhauses in den grauen Himmel, Stahlträger wie Skelettfinger, dazwischen Trümmer. Auf dem Dach des Gebäudes aus den Sechzigerjahren arbeitet eine Abrissfirma, Staubwolken steigen auf. Ein Anblick, der schwer zu ertragen ist. „Das ist ganz schlimm“, sagt der Polizist und verkriecht sich fast in seinem Regencape, „das macht mir schon den ganzen Morgen zu schaffen.“ Und wünscht sich einen kleinen Pavillon, der die Kerzenflammen schützen könnte. Keiner der Passanten murrt über die Umwege.

„Hier wird gearbeitet“

Im Bankenareal, Bankfurt zwischen Westend und Bahnhofsviertel, stehen die Hochhaustürme dicht nebeneinander, verletzlich und fragil, Glas, Aluminium oder wuchtig wie der Messeturm, das Amerikanischste der Gebäude am Main. Das 250 Meter hohe Gebäude war wegen einer Bombendrohung vorübergehend geräumt worden. Jetzt hat sich die Lage beruhigt. Es wird, sagen die Sicherheitsdienste unisono, „ganz normal gearbeitet“. Nur die Kontrollen seien „vielleicht ein bisschen mehr als üblich“. Ausweiskontrollen, die der Taschen bei manchen „stichprobenartig“.

Hessens Innenminister Bouffier hatte den Main-Tower, 200 Meter hoch, 56 Stockwerke, als besonders gefährdet eingestuft und außerdem alle Hochhausbetreiber aufgefordert, die Büros zu schließen. Werbeleiter Volker Harr, Werbeleiter der Hessisch-Thüringischen Landesbank im Main-Tower, lehnt das ab: „Hier wird regulär gearbeitet.“

Auch im mit 276 Metern höchsten Wolkenkratzer von Mainhattan, der Commerzbank, läuft der Alltagsbetrieb, ebenso bei der Europäischen Zentralbank, auf halber Höhe mit einer Euro-Banderole geschmückt, bei der DG Bank, im Messeturm. Einige Restaurants und Cafés in den Erdgeschossen sind aus Sicherheitsgründen geschlossen, Aussichtsplattformen und Parkebenen für das Publikum gesperrt. „Aber wenn da was von oben kommt“, sagt ein Sicherheitsmann, „dann können wir sowieso nichts mehr machen.“