Klangfelder zu Spielwiesen

Bekannt aus Film, Funk und Fernsehen: Klaus Doldinger schrieb die Musik zu „Das Boot“, „Liebling Kreuzberg“ und die „Tatort“-Titelmelodie. Mit der Fusion-Band Passport feiert der 65-jährige Jazzmusiker derzeit sein 30. Jubiläum. Eine kurze Begegnung zwischen WDR-Studio und Hotellobby

von MAXI SICKERT

Die Glastüren sind verschlossen. Nach Betätigung des gelben Klingelknopfes drückt eine blau uniformierte Frau hinter einem Holztresen misstrauisch auf den Summer. Ob man angemeldet sei? Wenn ja, dann bitte eintragen. Mit Name und Datum. Wo sich denn das Studio 10 befindet? Das weiß sie auch nicht so genau, sie sei immer nur hier vorne. Aber laut Gebäudeplan ein halbes Geschoss unter uns. Ein halbes Geschoss? Ja, aber der Paternoster sei nur Mitarbeitern vorbehalten. Hier, im WDR-Gebäude in Köln, hatte Heinrich Bölls Dr. Murke seine täglichen 4 œ Sekunden „Angstfrühstück“. In diesem Paternoster, ganz oben in dem „einzigen unverputzten Teil des Gebäudes“.

In Studio 10 soll Klaus Doldinger zu finden sein, der hier, anlässlich seines 65. Geburtstages, für ein Konzert in der Kölner Philharmonie probt. Im Studio 10, für eine ganze Bigband ein eher kleiner Raum, tragen alle Kopfhörer und blicken konzentriert auf ihre Notenpapiere. Klaus Doldinger beendet gerade sein Solo. Dann ist die Probe auch schon vorbei, und es wird eingepackt. Doldinger nimmt seinen Saxofonkoffer und ist bereit. Sein erstes Saxofon habe er mit dem ersten selbst verdienten Geld einem Zirkusclown abgekauft, erzählt er, aber dieses dort im Koffer sei das von Johnny Griffin. Er habe es seit 1970. Doch jetzt möchte er erst mal in sein Hotel, denn zwei Stunden später geht schon sein Flug nach München, wo er – unweit der Stadt – mit seiner Familie in einem alten Bauernhaus lebt. An den Wänden hat er Bilder von Künstlerfreunden aus seiner frühen Düsseldorfer Zeit, von Richter, Mack und Lüpertz. Dort, im hauseigenen Studio, ist auch die Filmmusik für „Das Boot“ entstanden und zuletzt „Tatort – Die Songs“ mit Manfred Krug und Streichern. Da es damals noch keine Videos mit Timecode gab, musste er für die Kompositionen zu „Das Boot“ die Bilder direkt vom Schneidetisch mit einer Polizeikamera abfilmen – der einzigen handhabbaren Kamera, die die Zeit mitstoppte.

Die Titelmelodie von „Das Boot“ ist seit Jahren fester Bestandteil bei Doldinger-Konzerten, ebenso wie die Eingangsmelodie von „Tatort“, „Liebling Kreuzberg“ oder „Die Unendliche Geschichte“. Heute sitzt er nur noch selten am Flügel. Die Musik wird meistens direkt in den Computer eingegeben. „Man muss sich diese elektronischen Klangbilder zu Eigen machen, daraus entsteht dann eine ganz eigene Ästhetik. Es geht mir nicht um das Nachahmen klassischer Klangbilder, sondern darum, neue zu erfinden.“ Mit dem Konzept amerikanischer Fusion-Bands wie Weather Report von Joe Zawinul oder Bitches Brew von Miles Davis verbindet Doldinger aber wenig: „Deren Musik war viel intellektueller und abstrakter. Ich wollte immer Stücke schreiben, die nachsingbar sind, die kommunizieren.“

Mittlerweile sind wir am Hinterausgang des WDR und warten auf das bestellte Taxi. Am Straßenrand reflektiert das Metall des Mikrofons die Sonne. Als das Taxi nicht kommt, nimmt uns der Fotograf mit, und Doldinger erzählt von Indien und dass er eigentlich keinen Unterschied zwischen einem indischen und einem deutschen Publikum sehe. Mit Passport sei er einst vom Goethe-Institut auf Tour geschickt worden, um der Welt deutsche Kultur jenseits von Schlager und Marschmusik zu präsentieren. „Von der politischen Situation im eigenen Land“, sagt er, vom Deutschen Herbst und den Demonstrationen „haben wir damals kaum etwas mitbekommen“.

Zur Gründung von Passport war es 1971 auf der Gartenparty eines großen Verlegers gekommen; damals saß am Schlagzeug noch Udo Lindenberg. Schnell spielten sie. Und laut. An dem Abend bekam Doldinger seinen Plattenvertrag. Seitdem sind 30 Jahre vergangen, zum Jubiläum erscheint die 4-CD-Anthologie „Works & Passion“. Doldinger weiß, dass sein Publikum heute hauptsächlich wegen seiner Bekanntheit als Filmkomponist zu seinen Konzerten kommt. Heute ist es so, dass er sich seine Band „leistet“ und sich auf Interpretationen von Bewährtem verlässt. So auch bei seinem nächsten Projekt, einem neuen Passport-Album, wo frühere Kompositionen vor Publikum neu eingespielt werden sollen. „Diese direkte Resonanz ist sehr wichtig für mich.“ Ein Filmprojekt steht derzeit nicht an. „Ich fühle mich wohl auf der Spielwiese des Fernsehens“, sagt er. „Das ist nicht so hektisch wie beim Film, und ich habe mehr Freiheiten.“

Wir sind beim Hotel angekommen. Auch die anderen Musiker sind schon da, bereit zur Abfahrt. Dann verschwindet Doldinger im Aufzug. Fetzen einer entfernten Jazz-CD versinken träge im dicken Teppich der Hotellobby.

Klaus Doldinger: Works & Passion 1955–2000 (WSM/Warner)Konzerte: 18. 5. Krefeld, 20. 6. Essen, 21. 6. Gladbeck