Eine Institution der katalanischen Küche

In der Casa Leopoldo speisten Widerständler, Künstler, Schauspieler und vor allem Schriftsteller

Wer ein Stück authentisches Barcelona schmecken will, kommt um die Casa Leopoldo kaum herum. In der Carrer Sant Rafael Nummer 24, mitten im Rotlichtviertel Raval, unweit vom Operntheater Liceu, führt Rosa Gil in dritter Generation das Lokal. „Ich bin eine Überlebende, eine Widerständlerin des Barrio“, seufzt die gepflegte Endfünfzigerin. Sie klagt über bürokratischen Ordnungswahn von Stadtplanern. Und mit modischem kulinarischem Schnickschnack von Michelinsternejägern will sie erst recht nichts zu tun haben. Wer in der Casa Leopoldo speist, erwartet keine Molekularküche. Er wünscht und bekommt cocina catalana, also Fisch und Meeresfrüchte: gegrillten Seeteufel, Hummer auf Muscheln, aber auch Kutteln oder Fleischklößchen mit Sepia und Gambas.

1929 als Familienbetrieb von Großvater Leopoldo gegründet, wurde das Haus in den Hungerjahren nach Ende des Bürgerkriegs ein Fluchtpunkt für verfolgte Intellektuelle. Rosas Vater Germán, einst Stierkämpfer, schmuggelte von Francos Folter bedrohte arme Teufel nach Südfrankreich. „Unsere Gäste genossen die Welt des Stierkampfs, des Gesangs, vereint in der Solidarität gegen Franco“, erzählt Rosa. Germán war es auch, der die bis in die 60er-Jahre eher rustikale Küche des Hauses verfeinerte. Tagsüber bewirtete man nach wie vor eher proletarische Kundschaft. Abends kam die Boheme, lasterhaftes Volk, kamen situierte Herren in Begleitung von Geliebten oder Edelnutten. Es kamen aber auch Künstler, Schauspieler, vor allem Schriftsteller: Juan Marsé, Félix de Azúa, Joan de Sagarra, Eduardo Mendoza, Maruja Torres. Unter den Stammgästen: Manuel Vázquez Montalbán, der auch sein Alter Ego Pepe Carvalho häufiger in der Casa Leopoldo einkehren ließ. „Manolo war die Zärtlichkeit selbst, schüchtern, großes Herz, absolut uneitel“, erinnert sich Rosa. „Und die gastronomischen Kenntnisse von Carvalho und Biscuter sind phänomenal.“

Und was ist mit dem Hype um den katalanischen Laborkoch Ferrán Adrià? „Ein gerissener Hund, dieser Adrià, er verkauft sich sehr gut, alle wollen ihn kopieren“, lächelt sie. Eines Tages aber würden die Menschen die cocina de autor, diese Autorenküche, satt haben. Alles sei so verwechselbar. Dann werde die traditionelle Küche wieder zu ihrem Recht kommen. Inzwischen ist „Manolo“ tot, und in Raval regieren die Abrissbirnen der Sozialhygieniker. Dabei, so bedauert Rosa, habe das Viertel seine Seele verloren.

Unbeirrt setzt sie das Vermächtnis ihres Großvaters fort. Solange sie kann, bleibt die Casa Leopoldo ein Leuchtturm der einfachen, ehrlichen Küche. Eine, die ohne Exotik und avantgardistische Menüs auskommt. Und montags – nach der corrida – gibt es criadillas guisadas, geschmorte Stierhoden? „Nein“, winkt Rosa lachend ab, „montags ist geschlossen.“ GÜNTER HERKEL