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OM-SINGEN Nach zwölf Jahren mit witzigem Trash-Puppenspiel hält „Das Helmi“ aus Berlin inne und nimmt sich Hermann Hesse vor

Mit Scherenschnittfiguren erzählt Brian Morrow auf einer beleuchteten Leinwand die Stationen des jungen Siddhartha nach

VON BARBARA BEHRENDT

Der Saal im Berliner Ballhaus Ost hat sich in eine Art buddhistisches Zentrum verwandelt: bunte Tücher, asiatische Klänge, Sitzkissen und ein Mann (Emir Tebatebai), der die Zuschauer im orangefarbenen Gewand tibetischer Mönche begrüßt. Keks- und Obstschalen werden gereicht, ein zottelmähniger Mensch (Florian Loycke) im Hippie-Kleid verteilt Tee und Tamburine, während Tebatebai dem Publikum erklärt, es sei nun „Zeit, sich rückzubesinnen“.

Für die Puppenspielgruppe „Das Helmi“ selbst ist ihr neues Stück „Siddhartha – Kunst des Fliegens“ tatsächlich eines des persönlichen Innehaltens. In den letzten Jahren hatte eine Produktion sofort die nächste abgelöst; die Trash-Combo vom Berliner Helmholtzplatz, die 2002 ihre ersten Puppenspiele dort in einem Klohäuschen aufführte, kooperierte zuletzt mit großen Theatern in Berlin, Hannover, Köln, Hamburg und Zürich und arbeitete mit Regisseuren wie Jan Bosse und Nicolas Stemann zusammen. Auf so mancher großen Bühne unter fremder Regie wirkten die groben Schaumstoffpuppen und ihre Spieler allerdings eher wie Pausen-Clowns.

Gut waren die Helmis immer dann, wenn sie sich quasi im Kinderzimmer einschlossen und ihre eigene Welt aufbauten. Alles an ihnen ist letztlich (im besten Sinne) kindlich: ihr anarchisches, absurdes Spiel, das sich für eine gute Story die verrücktesten dramaturgischen Sprünge leistet; ihre Lust, Geschichten zu erzählen und dazu eine Mordsgaudi zu veranstalten; die Angst vor Langeweile und Komplexität; die schlichten Sätze und Lieder, die manchmal wie spontan ausgedacht wirken – und der naive, politisch inkorrekte, zynismusfreie Blick auf die Welt.

Man konnte also gespannt sein auf die Neuschöpfung von „Siddhartha“, die die viel tourende Gruppe an ihrer Basisstation kreierten, dem Ballhaus Ost in Berlin, diesmal ganz ohne Regisseure oder Schauspieler und Tänzer. Wie in ihrer Geburtsstunde stehen sie nur zu dritt auf der Bühne: Florian Loycke, Emir Tebatebai und Brian Morrow. Für ihr Innehalten greifen sie auf den zeitgeistigen Hesse-Stoff zurück: Buch aller Hippies, jugendlicher Sinnsucher und Midlife-Crisis-Patienten.

Aber sie spielen, und das ist nun ziemlich neu, gut die Hälfte des Abends ohne Puppen. Man stelle sich einmal Winnetou ohne Iltschi vor, James Bond ohne Revolver oder Pippi Langstrumpf ohne Herrn Nilsson – dann weiß man, wie die Helmis ohne ihre Schaumstoff-Figuren wirken. Man muss es leider sagen: Tempo, Schutz und Charme sind dahin. Keiner der drei Männer ist für sich eine Rampensau, sie brauchen die Puppen, um sich frei zu spielen.

Nachdem Tebatebai die Zuschauer aufs Om-Singen und Tamburin-Rasseln eingeschworen hat, erzählt Brian Morrow mit Scherenschnittfiguren auf einer beleuchteten Leinwand die Stationen des jungen Siddhartha nach, der sich auf eine lebenslange Reise durch Indien begibt, auf der Suche nach Glück und Erkenntnis. Mehr als ein paar Lacher über Morrows schönen, britischen Humor bewirkt das allerdings nicht. Zwischendurch gibt Loycke mit einem Plüsch-Lama einen zweiten Erzähler, der kurze Liedzeilen intoniert, die aber weder Atmosphäre aufbauen noch Drive haben.

Man fragt sich schon, ob es das nun gewesen sei, als Tebatebai dann doch noch ein Stück Schaumstoff herauskramt, das die unverkennbar traurigen Augen, die Nickelbrille und die schmalen Lippen von John Lennon trägt. Dazu kommt eine glubschäugige Yoko Ono, die John fiepsend auffordert, für den Weltfrieden zu kämpfen. John Lennon, Yoko Ono, Indien und die Yogis – daraus hätte zumindest im zweiten Teil noch eine schräge Siddhartha-Beatles-Show werden können, aber die Chose versackt zwischen halbherzig performten Blödelsongs, lahmen Pointen und Schaumstoff-Puppen, die auf die Bühne geworfen werden, als kämen sie geradewegs aus dem Fundus. E.T. ist dabei und eine „indische“ Kuh. Das wirkt schon fast wie Resteverwertung.

Dabei kann Florian Loycke Puppen zaubern aus ein bisschen Schaumstoff, ein paar Drähten und Tischtennisbällen – ganz unverkünstelt und manchmal unglaublich hässlich –, die einem direkt ins Herz gehen. Man denke nur an „Leon, der Profi“, „Rocky“ oder die Brüder Moor aus „Am Arsch, die Räuber“. Auch die Helmi-Songs sind oft hinreißend komisch, kindisch, rebellisch und sentimental zugleich.

Hier aber verrenken sich die Spieler am Ende beim „herabschauenden Hund“, geben sich als Hermann Hesse aus, lesen aus „Siddhartha“ – und wissen dann irgendwie auch nicht weiter. Zeit also, wieder nach vorn zu schauen, statt zurück.