Annäherung im Kampf um die Mitte

Ségolène Royal konnte während der Fernsehdebatte ihren Kontrahenten Nicolas Sarkozy über weite Strecken in Schach halten. Doch in vielen Politikfeldern bemühten beide KandidatInnen ähnliche Modelle

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Am Tag danach gibt es kein anderes Thema: „Handfest“, titelt gestern das Boulevardblatt Parisien. „Kämpferin“, steht vorne auf der linksliberalen Libération. Der rechte Figaro schreibt quer über seine erste Seite: „Der Schock der Debatte“. Und die kommunistische Zeitung Humanité jubiliert: „Royal erschüttert Sarkozy“.

Ségolène Royal ist in Frankreich die Fernsehsiegerin. Seit Monaten prognostizieren die Umfragen ihr eine Niederlage bei den Wahlen. Im ersten Durchgang vor knapp zwei Wochen ist sie 6 riesige Prozentpunkte hinter dem rechten Nicolas Sarkozy zurückgeblieben. Selbst ihre AnhängerInnen machen keinen Hehl daraus, dass sie als Schwächere in die Debatte geht. Doch am Mittwochabend schafft sie ein Kunststück. Beim TV-Duell, dem einzigen dieser langen Präsidentschaftskampagne, hält Royal ihren Gegner zwei Stunden lang in Schach. Sie bestimmt die Themen. Und sie treibt Sarkozy immer wieder in die Defensive. Sie hält ihm das Scheitern seiner Sicherheitspolitik als Innenminister vor. Die Vergewaltigung einer Polizistin. Die Schließung von Nachbarschaftspolizeistellen in der Banlieue. Sie weist ihm sachliche Fehler nach, als er über Atomenergie und über Überstunden redet. Und sie nennt ihn mit einer vor Empörung ganz leicht bebenden Stimme „unmoralisch“, als er mit der schulischen Erziehung von Behinderten punkten will, obwohl seine Regierung eine Reform ausgesetzt hat, die sie selbst einst im Erziehungsministerium schuf. „Ich hatte Angst, dass er sie wie eine Fliege erdrückt“, atmet am Ende ein junger Banlieuezard auf, „das Gegenteil war der Fall“.

Sarkozy, ein Mann wie geschaffen für die Konfrontation, dessen Gesicht und Körper üblicherweise vor Zuckungen vibriert, sitzt an diesem Abend beinahe kraftlos am Tisch. Er muss das Gegenteil dessen beweisen, was für Royal auf dem Spiel steht. Sie gilt als „inkompetent“. Er als „aggressiv“. Wenn Sarkozy spricht, wendet er sich den beiden JournalistInnen zu. Den Blickkontakt zu Royal vermeidet er. In seinen Redepausen hält er sich an einem Kugelschreiber fest. Reibt sich mit dem Finger über die Nasenspitze. Statt mit der Vehemenz, die er pflegt, wenn ihm Männer gegenübersitzen, versucht er es bei Royal mit Lobhudelei. „Ich respektiere Sie sehr“, versichert er. „Mich interessiert das Persönliche nicht“, kontert sie ruhig. Dann wendet sie sich dem Publikum zu. Sagt, sie wisse, dass es für viele nicht einfach ist, eine Frau zu wählen. Und bittet um das Vertrauen der WählerInnen.

Es ist das erste TV-Duell seit zwölf Jahren. 2002 fiel die Debatte aus. Damals lehnte der Neogaullist Jacques Chirac es ab, sich mit dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen an einen Tisch zu setzen. An diesem Mittwochabend kommt das öffentliche Leben in Frankreich für zwei Stunden und 40 Minuten zum Stillstand. Punkt 21 Uhr leeren sich selbst die lärmigsten Straßen von Paris. Die beiden KontrahentInnen sind 53 und 52 Jahre jung. Beide sind mit dem Fernsehen groß geworden. Ihr Kandidatenduell bekommt höhere Einschaltquoten als jedes vorausgegangene. Mehr als 20 Millionen Menschen verfolgen Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy im Fernsehen. Ungezählte weitere Millionen hören ihnen am Radio zu.

Die Sozialdemokratin Royal und der Rechte Sarkozy haben hunderte von Meetings absolviert und hunderte von Interviews gegeben. Ihr Konterfei klebt landesweit auf Mauern. Oft so nah beieinander, dass sich ihre Slogans „La France Présidente“ (Frankreich Präsidentin) für Royal und „Ensemble tout est possible“ (Gemeinsam wird alles möglich) für Sarkozy berühren. Aber persönlich sind sie sich in der langen Kampagne kein einziges Mal begegnet. Das Fernsehduell vier Tage vor der Stichwahl ist ihre einzige Konfrontation. Millionen von WählerInnen sind noch unentschieden, vor allem in der Mitte. Das Duell ist der vielleicht wichtigste Wahlkampftermin für beide.

Das „Rechts-links-Duell“, ist die Debatte angekündigt. Als Konfrontation zwischen zwei unterschiedlichen Modellen von Frankreich und der Welt. An diesem Abend tragen beide KandidatInnen Dunkelblau. Eine Farbe, von der die WerbestrategInnen sagen, dass sie Vertrauen einflößt. Beide KandidatInnen wissen, dass die wichtigsten Themen ihrer Landsleute die Kaufkraft, die Arbeitslosigkeit, die soziale Sicherheit und die Fragen des Arbeitsrechts sind.

Nachdem die innere Sicherheit als Thema gestreift ist, gehen sie zu den „35 Stunden“ über. Der größten Reform der rot-rosa-grünen Regierung von 1997 bis 2002, der auch Royal angehört hatte. Sarkozy beschreibt die 35-Stunden-Woche als das Grundübel für die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft. Für Royal ist die Arbeitszeitverkürzung ein großer gesellschaftlicher Fortschritt. „Warum haben Sie die 35-Stunden-Woche nicht abgeschafft, wenn Sie so schrecklich ist?“, fragt sie ihn. Er bleibt die Antwort schuldig.

Er will nur jede/n zweite/n BeamtIn ersetzen, die in Rente geht. Sie will die BeamtInnen je nach Bedarf auf andere Dienste umverteilen. Er kritisiert die Niedriglöhne in Frankreich und vertritt seinen Slogan „Wer mehr Geld verdienen will, soll auch mehr arbeiten dürfen“. Als Präsident will er deswegen das „Recht“ auf zusätzliche Überstunden einführen. Sie hält dagegen, dass nicht etwa die Beschäftigten, sondern die Patrons darüber entscheiden, ob Überstunden zu erledigen sind. Und will die Arbeit so umverteilen, dass alle Arbeit haben. Er will die Steuern senken, sie will sie beibehalten. Und – falls das sozial nötig sein sollte – erhöhen.

Die beiden KandidatInnen mögen im persönlichen Auftreten anders sein. Aber politisch haben sie dieselben Modelle der Mitte. Beide zitieren den Engländer Blair, beide berufen sich auf die skandinavischen Arbeitsmarktmodelle. Beide bemühen den Spanier Zapatero.

Auch bei der Einwanderungspolitik zeigen sie große Nähe. Als wollten beide die Stimmen der rechtsextremen WählerInnen für sich gewinnen, äußern sie sich nur knapp zu der Situation von hunderttausenden von papierlosen EinwanderInnen. Royal drückt auf die Gefühle, als sie von der Verhaftung eines papierlosen chinesischen Opas vor den Augen seiner Enkelkinder vor einer Schule in Paris spricht. Aber auch sie strebt, wie Sarkozy, „Einzelfallregelungen“ für jede papierlose Person in Frankreich an. Den Mut, die Einwanderung als wirtschaftlichen und politischen Vorteil für die französische Wirtschaft zu bezeichnen, bringt auch sie nicht auf. Gemeinsam ist den beiden auch, dass sie bei dem EU-Referendum von 2005 für ein Oui zur Verfassung gestimmt haben. Als PräsidentIn wollen sie beide den Geist der Verfassung retten. Auf unterschiedliche Art. Sarkozy hat sich in einem semantischen Schlenker darauf eingestimmt, statt der von seinen Landsleuten abgelehnten EU-Verfassung einen „Vertrag“ zu machen. Diesen Vertrag will er dem Volk nicht mehr vorlegen. Er will ihn nur vom Parlament absegnen lassen. Royal schlägt eine neue EU-Verfassung vor. Was darin stehen soll, erklärt sie nicht. Bloß, dass sie die FranzösInnen erneut darüber abstimmen lassen will. Im Sommer 2009.

Die EU-Verfassung, die sudanesische Krisenregion Darfur und die eventuelle EU-Mitgliedschaft der Türkei – die Sarkozy ablehnt und über die Royal wie geplant verhandeln will – bleiben die einzigen internationalen Themen. Andere Weltregionen erwähnen die beiden KandidatInnen, die fünf Jahre lang die Kontrolle über die Außenpolitik in Händen halten werden, nicht. Royal und Sarkozy sprechen nicht vom Irak. Nicht vom Nahen Osten. Nicht von den Beziehungen zu den USA. Und nicht von den Beziehungen zu Berlin.