Jürgen R., Grundsatzprozess-Gewinner
: Vorkämpfer aus Versehen

■ 80, lebt seit 42 Jahren mit einem Mann zusammen. Seit 2001 ist die Beziehung eine gesetzliche Lebenspartnerschaft. FOTO: DPA

Er hätte vor Millionenpublikum auftreten können. Hätte den Zuschauern der Nachrichten im ZDF seinen Fall und seine Gefühle zu seinem Sieg für die Gleichberechtigung Homosexueller schildern können. Doch das wollte er nicht. „Ich bin nicht publikumsgeil“, sagt Jürgen R. „Das ist nicht meine Natur.“ Deswegen will er keine Fotos. Er will auch nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen, wenn er zitiert wird.

Aber das am Dienstag ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg braucht auch kein Gewinner-Gesicht, um in Erinnerung zu bleiben: Der heute 80-Jährige hat erstmals erstritten, dass Homosexuelle in einer Lebenspartnerschaft genau so zu behandeln sind wie Verheiratete, wenn ihre Zusatzversorgung errechnet wird. Letztere erhalten Mitarbeiter im öffentlichen Dienst zusätzlich zur gesetzlichen Rente. Für Jürgen R. geht es um rund 300 Euro monatlich.

Er war von 1950 bis 1990 Angestellter der Stadt Hamburg, zuletzt Einkäufer bei der Jugendbehörde. Mit seinem Freund lebt er seit 1969 zusammen. 2001 heiratete er ihn nach den Regeln der eingetragenen Partnerschaft. Nach der Hochzeit informierte er seinen alten Arbeitgeber und forderte die Erhöhung seiner Zahlungen. Der weigerte sich. Jürgen R. klagte vor dem Arbeitsgericht, das schaltete den EuGH ein. Nun ist wieder das Arbeitsgericht dran – in einem Teilurteil hatte es R. bereits Geld zugestanden. Nun geht es um den Rest.

Ihm sei die Brisanz des Falls bis heute nicht klar gewesen, sagt Jürgen R. „Für mich war das eine Privatsache.“ Aber nun ist er „schon ein kleines bisschen stolz“, dass er ein Grundsatzurteil erstritten hat.

Jürgen R. ist kein politischer Aktivist. „Ich habe mir das nie an die Brust geheftet“, sagt er. Er sei mit seiner Homosexualität umgegangen, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. „Wenn die Kollegen von Ausflügen mit ihren Frauen berichtet haben, habe ich erzählt, was ich mit meinem Freund unternommen habe.“ Es habe auch keine Probleme mit Nachbarn oder Kollegen gegeben. Nur mit dem Arbeitgeber.

DANIEL KUMMETZ

Bericht Inland Seite 8