Rente mit Abschlag ist für viele die Regel

Studie: Immer mehr Menschen gehen vorzeitig in den Ruhestand und verzichten damit auf einen Teil der Rente

BERLIN taz ■ Immer mehr Arbeitnehmer gehen vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze in Rente und nehmen damit empfindliche Kürzungen auf sich. Zu diesem Schluss kommt das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) in Gelsenkirchen, das den aktuellen „Altersübergangs-Report“ gestern in Berlin auf einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung vorstellte.

Laut der Erhebung gingen im Jahr 2005 vier von zehn RuheständlerInnen mit Abschlägen in Rente. Das waren mehr als zuvor: 2003 bekamen nur 35 Prozent der Neurentner ein gekürztes Ruhegeld. Für jedes Jahr, das die Betroffenen früher als gesetzlich vorgesehen in den Ruhestand wechseln, werden 3,6 Prozent bei der Rente gekürzt.

Die finanziellen Einbußen sind zum Teil enorm: Die Zahl der Abschlagsmonate summiert sich im Schnitt auf über drei Jahre – was einer Kürzung der Bezüge um mehr als 10 Prozent entspricht. Jeder Dritte geht 60 Monate vorzeitig in den Ruhestand und verzichtet damit auf 18 Prozent seiner Rente. Absolute Zahlen zu den finanziellen Einbußen finden sich allerdings in der Studie nicht.

Eindeutig sind hingegen die Ost-West-Unterschiede. In Ostdeutschland verzichten demnach deutlich mehr Menschen auf einen Teil ihrer Rente. Ganz freiwillig ist das oft nicht. Die Forscher sprechen von einem „langen prekären Altersübergang“, den Menschen im Osten häufiger zu durchleiden hätten als im Westen. Konkret bedeutet das: Jeder dritte Ostdeutsche wechselt aus geringfügiger Beschäftigung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit in den Ruhestand – 70 Prozent von ihnen mit zum Teil massiven Rentenabschlägen.

„Wir vermuten, dass bei einigen eine Flucht vor Hartz IV stattfindet“, sagte IAQ-Projektleiter Martin Brussig der taz. Viele Ältere im Osten sähen keine realistischen Chancen auf einen neuen Job, wollten aber die Bedürftigkeitsprüfungen für das Arbeitslosengeld II nicht mitmachen – oder hätten auf die Leistungen, etwa wegen ihrer Partner, keinen Anspruch. „Dann liegt es nahe, wenigstens ein geringes Alternativeinkommen zu beziehen, nämlich die um Abschläge geminderte Rente“, heißt es in der IAQ-Studie.

Die Sozialforscher sprechen sich gegen eine Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre aus. Dies sei nur gerechtfertigt, wenn die Arbeitnehmer auch die Möglichkeit hätten, bis zur Rente zu arbeiten. Ansonsten bestehe die Gefahr einer „impliziten Rentenkürzung“.

Das ist willkommenes Futter für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Kampagne gegen eine Erhöhung des Rentenalters. Für ihn „ist und bleibt die Rente mit 67 inakzeptabel“, sagte DGB-Sozialexpertin Annelie Buntenbach gestern in Berlin. Damit werde „billigend in Kauf genommen, dass für viele noch weniger von der Rente übrig bleibt“, so Buntenbach.

Im Koalitionsvertrag von SPD und Union ist festgehalten, dass das Rentenalter von 2012 an bis 2029 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben wird. Nächste Woche soll das Gesetz im Bundestag verabschiedet werden.WOLF SCHMIDT

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