Große Koalition: fatale Rituale
: Kommentar von Ralph Bollmann

Kommt uns das Szenario nicht irgendwie bekannt vor? Da sitzen jeden Sonntagabend ein paar Spitzenpolitiker von Union und SPD zusammen, debattieren über den „Sanierungsfall“ Deutschland und versuchen, die Realität außerhalb des Glaskastens möglichst nicht an sich heranzulassen.

Die Koalitionsrunden, die Angela Merkel derzeit als wöchentliches Ritual im Kanzleramt abhält, erinnern fatal an die bald auslaufende Polit-Talkshow „Sabine Christiansen“. Doch während die scheidende Moderatorin nun endlich ein Einsehen hat und das Publikum erlösen will, führen die schwarz-roten Koalitionäre die überholte Rhetorik unverdrossen weiter. Gesellschaft und Medien verabschieden sich vom inhaltsleeren Reformgerede. Doch im Berliner Regierungsviertel werden die immer gleichen Sätze wiederholt, als hätte die Platte einen Sprung.

Beispiel Gesundheitsreform: Ein zähes Ringen liefern sich die Experten beider Parteien um die Frage, ob sie den Bürgern die als unabänderlich betrachteten Mehrkosten künftig in Form von Steuern oder Beiträgen aufbürden sollen. Der eigentliche Skandal, dass eines der teuersten Gesundheitssysteme in der industrialisierten Welt auch eines der schlechteren ist, kommt dabei nicht auf den Tisch. Um eine Verbesserung des medizinischen Outputs geht es gar nicht, sondern um die Demonstration von Reformeifer durch die Verschiebung möglichst hoher Milliardenbeträge aus welchem Topf auch immer in einen anderen.

Beispiel Föderalismusreform: Hier haben sich die Regierenden der großen Koalition immerhin dazu herabgelassen, das wahre Leben auf sich einwirken zu lassen und das Gesetz in einer umfänglichen Anhörung dem Praxis-TÜV zu unterziehen. Von den Ergebnissen allerdings will die Koalition auch in diesem Fall nichts wissen. Mit ein paar kosmetischen Änderungen soll das Paket, von dem kaum jemand wirklich überzeugt ist, durchgewunken werden – nur um einmal Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

So wird es denn wohl kommen. Vorausgesetzt, das Parlament macht bei der Föderalismus-Abstimmung am Freitag nicht noch das, was angesichts des Sonntagabend-Rituals längst angebracht wäre: abschalten.