Anti-Depressions-Training in der Komischen Oper

13 Arbeitslose und ein Senator gucken gemeinsam die Geschichte eines melancholischen Prinzen und machen erste Erfahrungen mit dem Sozialticket

Zum ersten Mal seit Wochen scheint die Abendsonne in der Stadt. Nur die ganz Kulturbeflissenen zieht es an diesem warmen Freitagabend in die Oper statt in den Biergarten. Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) findet immerhin 13 arbeitslose BerlinerInnen, die mit ihm gemeinsam in der Komischen Oper Sergei Prokofjews eher unbekanntes Stück „Die Liebe zu den drei Orangen“ ansehen wollen.

Die Arbeitslosen hätten auch ohne den Senator Billigtickets für drei Euro bekommen können, aber manche haben erst durch Flierls Einladung von dem Angebot erfahren. „Aus diesem Grund sind diese Abende entstanden“, sagt Flierl auf dem Weg nach Hellersdorf, wo er einige seiner Begleiter abholen will. Es ist bereits das dritte Mal, dass die Kulturverwaltung solche Abende organisiert, doch so viele Leute wie an diesem Abend waren noch nie dabei.

Am 1. Mai 2005 wurde in Berlin das Drei-Euro-Ticket eingeführt, das Trägern einer Sozialkarte den günstigen Besuch von Oper- und Theatervorstellungen ermöglicht. Bei der ersten Auswertung des Modells im Dezember stellte man fest, dass das Angebot nur 4.000-mal in Anspruch genommen worden war. Angesichts der schätzungsweise 500.000 Berechtigten in Berlin eine geringe Resonanz.

„Wir mussten die Theater erst überzeugen, dass sie als öffentlich finanzierte Häuser eine soziale Verpflichtung haben“, sagt der Senator kurz vor Vorstellungsbeginn. Das findet Silvi aus Reinickendorf richtig. „Ich bin keine Operngängerin, weil ich mir so etwas nicht leisten kann“, sagt die junge Gewerkschaftlerin. „Mit diesem Ticket könnte ich aber häufiger kommen.“ Bei Heinz aus Hellersdorf ist es anders. Der 55-Jährige geht öfter mit seiner Tochter in die Oper. „Wenn wat Tollet läuft, dann kooft die Kleene Karten für den Papa“, erzählt er stolz. Mit dem heutigen Stück kann er aber wenig anfangen: „Is ne Fraje der Geschmäcker, wa?“, sagt er und bedauert, dass es kein eingängiges Motiv im Stück gibt, wie bei „Madame Butterfly“, dem Lieblingsstück seiner Tochter.

Ansonsten passt „Die Liebe zu den drei Orangen“ aber hervorragend zu der Geschichte des Senators und den 13 Arbeitslosen. Im ersten Teil des Stückes geht es um die Heilung eines tief melancholischen Prinzen durch das Lachen. „Wir wollen dazu beitragen, die Menschen aus einer leicht depressiven Stimmung rauszuholen, indem wir sie an Kultur teilnehmen lassen“, hatte Flierl vor dem Treffen mit den Arbeitslosen erzählt. Das scheint zu klappen: Als der Prinz lacht und damit geheilt wird, lächeln auch die Hartz-IV-Empfänger in ihren Parkettplätzen.

Alle, mit Ausnahme von Heinz, sind begeistert. Das Haus selbst finden sie „einfach Klasse“, wie Ingrid aus dem Wedding es ausdrückt. Sie hat die Pause dazu genutzt, den Platz zu wechseln. Sie will den zweiten Teil vom Balkon aus verfolgen. Kurz vor Anfang des zweiten Teils winkt sie zu den anderen herunter.

Die Schwestern Semke, die seit zehn Jahren in Deutschland leben, sind auch angetan. Sie kommen aus Kasachstan und sind vor allem wegen des Komponisten gekommen. Auf dem Weg zur Oper erzählten sie dem Senator, dass sie Russlanddeutsche seien: „Wir haben sozusagen blaues Blut“, witzeln sie im Bus. Auch Birgit, die sich mit „Korinth, wie Korinthenkacker“, vorstellt, ist sehr zufrieden. „Ich kann Leute nicht ausstehen, die nur jammern“, hatte sie noch vor der Aufführung gesagt. Am Ende der Vorstellung war sie begeistert. Nicht nur der Prinz ist am Ende geheilt, sondern auch die Gruppe sieht nicht mehr nach Jammern aus. Selbst als der Prinz fragt: „Wo sind wir?“, und sein Begleiter singend „In der Patsche“ antwortete, lachen sie alle mit.

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