„Man muss herausfinden, was Schüler können“

Schulleiter Jens Großpietsch erzählt, wie sein Kollegium eine Schule von Gewalt und Chaos zur anerkannten Haupt- und Realschule machte

taz: Herr Großpietsch, Ihre Schule wurde vielfach ausgezeichnet. Vor 20 Jahren war sie eine kippende Schule.

Jens Großpietsch: Anfang der 80er-Jahre hatten wir Messerstechereien vor der Schule. Die Bild sah, wie heute bei der Rütli-Schule, nur Gewalt und Chaos. Wir hatten fast nur noch zwangsüberwiesene Schüler.

Was war Ihr Rezept?

Es gibt keine Einheitsrezepte. Wir haben uns zusammengetan und begonnen, uns einheitlich zu positionieren.

Gegen wen?

Nicht gegen die Schüler oder irgendjemanden sonst. Nur damit wir uns einig sind – sonst kommen Sie mit dieser explosiven Mischung nicht zurecht.

Welche Mischung?

Na, die klassische Mischung einer Hauptschule innerstädtischen Milieus mit hoher Zuwanderung und vielen Sozialhilfefamilien. Wir waren am Ende unserer pädagogischen Möglichkeiten, die Atmosphäre war einfach zu negativ.

Manche Mischungen gehen nicht?

Ja, wenn man die Schülerschaft nicht anders mischt, etwa durch Zusammenlegen der Schulformen, dann werden die angedachten Brennpunktschulen mit ihren ganzen Zusatzkräften ein extrem teures Modell. Oder man gibt diese Jugendlichen auf. Dann braucht man Sicherheitskräfte mit Schusswesten, die diese Kids nur noch bewachen. Wir können und wollen auf diese Jugendlichen aber nicht verzichten.

Dazu braucht man Lehrer …

… die Regeln durchsetzen können. Nicht alle Kollegen haben die Kraft, aus einer Schulsituation von Angst und Demütigung herauszufinden.

Wie kommt das?

In Hauptschulen stoßen zwei Welten aufeinander. Es ist einfacher, auf den Fidschiinseln zu unterrichten als hier mit Hauptschülern. Nicht weil es schlechte Menschen sind, sondern weil die völlig anders ticken. Die Lehrer, die oft aus mittelständischen, bildungsnahen Verhältnissen stammen, verstehen die überhaupt nicht. Und sie sind auch nicht dazu ausgebildet. Man muss das als Lehrer wirklich wollen, sich mit solchen Leuten auseinander zu setzen.

Was waren Ihre pädagogischen Instrumente?

Das ist ein Riesenmosaik, dessen Kitt eine positive Grundhaltung zu den SchülerInnen ist. Das gilt auch im Bezug auf ihre Lernfähigkeiten. Es geht nicht darum herauszufinden, was Schüler nicht können, sondern ihre Talente und Stärken zu suchen – und daran anzuknüpfen. Man muss sich fragen, wie stärke und belobige ich diejenigen, die Vorbild sind. Mit Lob können diese Schüler oft ganz schwer umgehen – weil sie es zu Hause nicht erleben.

Ihre Schule hat eine besondere pädagogische Prägung. Das heißt?

Dass wir von den Regelschulen abweichen können. Bei uns bimmelt es nicht alle 45 Minuten. Wir gestalten unsere Stundentafel so, dass längere Lerneinheiten möglich sind, und wir halten uns auch nicht sklavisch an den Lehrplan.

Was ist das Wichtigste?

Wir arbeiten wirklich integrativ. Das heißt, die Lerngruppen einer Klasse sind immer neu zusammengesetzt. Mal habe ich als Lehrer diese fünf, dann die 15, dann jene 20 Schüler.

Die sie je nach Stärken und Fach immer neu zusammensetzen.

Wir schauen, was für die Schüler notwendig ist. Und nicht danach, ob in Klasse 7 am Mittwoch in der dritten Stunde alle 25 Schüler Mathe haben und Bruchrechnen üben. Das alles dürfen wir – nur nicht Lehrer ausbilden.

Wieso nicht?

Weil wir eben Dinge tun, die nicht ins normale Programm passen.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER