Viel hilft nie viel

Zwischen New York City, Chicago und dem ganzen Jazz: „Jazztime“, Roddy Doyles Roman über einen irischen Einwanderer und seine Freundschaft zu Louis Armstrong

Es hätte ein schönes Buch werden können, wenn Roddy Doyle sich nur an den Romantitel gehalten hätte: „Jazztime“. Seine Hauptfigur, der junge, gerade aus Irland eingewanderte Henry Smart wäre dann in den Roaring Twenties über einen kurzen Aufenthalt in New York nach Chicago gekommen, hätte dort den Jazz lieben gelernt und wäre schließlich zum weißen Dauerbegleiter des fast gleichaltrigen Louis Armstrong geworden.

All das findet sich tatsächlich in „Jazztime“, und es sind die mit Abstand stärksten Passagen des Romans. Smart erlebt Chicago unter der Herrschaft Al Capones. Hier geht’s drunter und drüber, die Stadt erfindet sich alle paar Tage neu. Und er erlebt die Blütephase des Jazz, auch der ist „funkelnagelneu“, vor allem aber „furios, lustvoll und tödlich für jede andere Art von Musik“. Der Ire lernt Armstrong kennen, damals 27, und arbeitet für ihn als Bodyguard, Manager, Geldbeschaffer und Fahrer in einem. Beide gehen nach Harlem, New York, wo aus dem Jazzsänger und -trompeter endgültig ein Star wird. Es ist die Ära der Grammofone und Schallplatten, und eine Zeit lang scheint es, als könne Armstrongs Musik die „Rassensegregation“ überwinden. Henry Smart weicht ihm nicht von der Seite, sie sind Freunde geworden.

Allein, Doyle belässt es nicht dabei. Sein Protagonist muss auch noch ein ehemaliger ranghoher Kämpfer der wenige Jahre zuvor gegründeten IRA sein. Nach seiner Ankunft im New York der Prohibitionszeit steigt er in den Alkoholhandel ein und bekommt es deswegen gleich mit der Mafia zu tun. Von ihr nach Chicago vertrieben, wird er dort zum Einbrecher, wobei ihm zufällig seine irische Frau und Tochter über den Weg laufen. Wieder in New York berät er die Hohepriesterin Flow und ihre Sex predigende „Göttliche Kirche des Hier und Jetzt“.

Doyle aber reicht es immer noch nicht. Er scheint besessen von der Furcht, zu wenig Handlung in seinem Roman zu haben. Es folgt ein erneuter Chicago-Aufenthalt Smarts, ein Showdown mit einem Bündnis aus dem lokalen Gangstertum und irischen Schatten aus der Vergangenheit sowie die Flucht mit Frau und Tochter quer durch Amerika. Einen Sohn braucht es auch noch, so dass Amerikas Hobos und mobile Landarbeiter in den Zügen gleich vier neue Mitreisende begrüßen dürfen.

Es ist von allem zu viel, viel zu viel. Dass so etwas auch gut sein kann, hat zuletzt Jonathan Franzen in „Schweres Beben“ gezeigt. Doch hier bleibt Louis Armstrong zwischen der IRA, der Mafia, schlecht arrangierten Liebesgeschichten, esoterischem Sexgehuber und am Ende auch noch der großen Dürre in der US-Landwirtschaft schlicht auf der Strecke. Doyles abgehackte Dialogtechnik soll wohl ein Äquivalent zu den Synkopen des Jazz sein. Aber sie wird, so wie der gesamte Roman, dem Jazz nicht gerecht. „Jazztime“ klingt meist wie schlechter irischer Folk: simpel, quietschfidel und aufdringlich. Aushalten lässt sich das nur mit ein paar Guinness. MAIK SÖHLER

Roddy Doyle: „Jazztime“. Aus dem Englischen v. Renate Orth-Guttmann. Hanser, München 2006. 480 S., 24,90 €