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: Trug, nichts als Trug

In seinem letzten Roman „Trug“ beschreibt der inzwischen verstorbene Schriftsteller Klaus Schlesinger das „Café Espresso“ an Berlins vielleicht berühmtester Ecke Friedrichstraße Unter den Linden. Die Handlung des Romans tut hier nichts zur Sache, außer insofern, als es für ihren Fortgang wichtig war, dass man aus dem „Espresso“ heraus- und auch ins Café hineinschauen konnte. Damals, vor dem Fall der Mauer, war das kein Problem. Das „Espresso“ lag zurückgesetzt in der Straßenflucht. Davor war ein kleiner Platz, und der machte Berlins berühmte Ecke zum Ort, an dem es was zu schauen gab.

Der kleine Platz ist inzwischen zugebaut, weil kleine Plätze nach der Wende nicht mehr als Orte zum Schauen gelten, sondern als urbanistische Restlöcher, die es zuzustopfen gilt. Ähnliches ist an der Friedrichstraße mehrfach geschehen. Gleich vor dem Bahnhof Friedrichstraße lag bis vor einigen Jahren das Trompetenwäldchen. Das hatte seinen Namen von den Trompetenbäumen, die die kanadische Regierung der DDR nach dem Krieg geschenkt haben soll. Inzwischen steht auf dem Wäldchen das Friedrich-Carrée, einer jener Büroklötze, wegen denen das britische Magazin Independent schon gemutmaßt hatte, nach Berlin seien die marschierenden Knobelbecher zurückgekehrt.

Jüngstes Beispiel des Stopfens urbaner Restlöcher ist das Hotel Unter den Linden. Wie vorm „Espresso“ war auch vor dem ehemaligen Interhotel ein kleiner Stadtplatz. Auch der wird nun voll gestopft mit Knobelbecherarchitektur. Zu sehen gibt’s dann nichts mehr. Außer Trug. Aber so ist das mit dem Restlochurbanismus. Vielleicht müsste man auch in Berlin einmal eine Truman-Show drehen.

Aber nein, ein Restloch ist da noch, das am Checkpoint Charlie. Doch das stammt nicht aus DDR-, sondern aus Nachwendezeiten. Ein „American Bussiness Center“ sollte da entstehen, doch der Investor zog sich zurück. Wenigstens dort gibt es seitdem was zu sehen – eine Drehorgelgasse mit Bratwurstbuden, einen wilden Parkplatz, ein paar Holzkreuze, die das Mauermuseum aufgestellt hat, einen Bauzaun. Berlin lebt – auch im Kapitalismus.

UWE RADA