Hustensirup mit Frostschutzmittel

Gemeinsam wollen die Weltgesundheitsorganisation und Pharmaindustrie gefälschte Medikamente bekämpfen

BERLIN taz ■ Der lukrative Markt für gefälschte Medikamente wächst und wird zunehmend zum Anziehungspunkt für das organisierte Verbrechen. Dagegen will die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nun vorgehen. Gestern eröffnete sie in Rom eine Konferenz, deren Ziel die Gründung einer weltweiten Taskforce gegen Arzneibetrug ist. Mit getragen wird die Initiative von der EU, WTO, Weltbank, Nichtregierungsorganisationen und der Pharmaindustrie. Die Taskforce soll unter anderem bei der einfachen Erkennung gefälschter Mittel helfen und Staaten bei der Verfolgung von Herstellern und Händlern unterstützen. Diese müssten „genauso kompromisslos wie Drogenschmuggler“ verfolgt werden, fordert der für Pharmafragen zuständige WHO-Direktor Howard Zucker. Gefälschte Arzneien dürften nach WHO-Schätzungen schon 10 Prozent des gesamten Pharma-Handels ausmachen.

Die Pharma-Lobby sieht durch die massenhaften Fälschungen ihre Gewinne gefährdet. Noch härter trifft es Patienten, die gefälschte Arzneien einnehmen. Ihre Gesundheit ist bedroht. Oft wirkt das Präparat einfach nicht. Mitunter aber enthalten die gefälschten Mittel giftige Stoffe. „Leute sterben nicht, wenn sie eine gefälschte Handtasche oder ein gefälschtes T-Shirt tragen“, sagt WHO-Experte Zucker. „Aber an gefälschten Medikamenten können sie sterben.“

Die WHO nennt konkrete Fälle: Dokumentiert sind zum Beispiel 2.500 Todesfälle in Niger, weil ein wirkungsloser Impfstoff gegen Hirnhautentzündung eingesetzt wurde. In Haiti starben 30 Kinder an einem Hustensirup, der ein Frostschutzmittel enthielt.

Ein Ende der gepanschten Medizin ist nicht abzusehen – im Gegenteil: Der Markt wird sich bis 2010 auf 75 Milliarden US-Dollar verdoppeln, schätzt das US-Forschungsinstitut Center for Medicines in the Public Interest. Die größten Wachstumsraten verzeichnen gefälschte Potenzpillen wie Viagra und Levitra. Deren Fälschungen werden meist in Industrieländern über das Internet vertrieben. Erst kürzlich ist ein chinesisch-amerikanischer Händlerring aufgeflogen, der gefälschte Potenzpillen für 4,3 Millionen Dollar verkauft hatte.

Am schlimmsten ist das Problem jedoch in den Entwicklungsländern, wo die gesetzliche Kontrolle schwach und der Bedarf an erschwinglichen Medikamenten hoch ist – ein Bedarf, den die legale Pharmaindustrie nicht deckt. Die patentgeschützten Präparate der westlichen Konzerne sind für Patienten in Entwicklungsländern oft zu teuer. Der kontrollierte Vertrieb legal nachgemachter Medikamente, so genannter Generika, wird nicht zuletzt durch das Patentschutzabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) erschwert. Ein Viertel der in den Entwicklungsländern verkauften Medikamente dürfte daher laut WHO gefälscht sein. Industrieländer entledigen sich dort offenbar auch gerne ihrer ungewollten Medikamente: In Nigeria meldete die Medikamentenaufsicht vor einigen Jahren, dass 60 Prozent der verfügbaren Arzneimittel gefälscht oder jenseits des Haltbarkeitsdatums seien. Inzwischen reagierte dort die Regierung mit einem Einfuhrverbot für alle Medikamentenlieferungen, die den suspekten Aufdruck „Nur für den Export“ tragen. NICOLA LIEBERT