Kai-Arne Schmidt über Fischerei: "Fischer sind ehrliche Typen"

Statt Eishockey-Profi wurde er Fischer. Aber nach einer Fahrt auf der Nordsee, bei Windstärke zwölf, war klar: Kai-Arne Schmidt ist seekrank. Heute leitet er eine Fischerei-Genossenschaft.

Wer auf See den "Kurt ruft", muss sich übergeben: Kai-Arne Schmidt wurde wegen seiner Seekrankheit oft als Weichei beschimpft. Bild: Miguel Ferraz

Herr Schmidt, können Sie in zehn Jahren noch von der Fischerei leben?

Kai-Arne Schmidt: Davon bin ich fest überzeugt.

2012 will die EU ihre Fischerei-Politik reformieren. Glauben Sie, das geht in die richtige Richtung?

Das wird sich nicht so entwickeln wie der Reform-Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt. Dafür sind zu viele Player im Spiel, denen das zu weit geht. Entscheidend ist, dass die EU-Fischereikommissarin Maria Damanaki da vehement rangeht. Sie wird sich nicht mit einer Quote von 50 Prozent ihrer Vorschläge zufrieden geben und das ist der Fischerei dienlich.

Welche sind die wichtigsten Vorschläge Frau Damanakis?

Ein zentraler Punkt ist, endlich einmal die Flottenkapazität anzufassen. Deutschland und Dänemark zum Beispiel haben ihre Flotte verringert, England bedingt, Frankreich weniger und Spanien gar nicht. Und je südlicher sie kommen, desto eher kann man von einer Leistungssteigerung sprechen. Sie haben stärkere Motoren eingebaut. Das kann man sich wie in der Formel eins vorstellen. Mehr PS, mehr Fisch.

In größere Motoren zu investieren ist teuer. Man würde denken, das reiche Deuschland sei dabei im Vorteil.

Wir sind zwar ein wohlhabendes Land, haben aber nicht die Wirtschaftskraft in der Fischerei wie Dänemark, Spanien oder Portugal. Die haben sich von vornherein einen Wettbewerbsvorteil verschafft: mehr Fische gefangen, als sie dürfen - dadurch mehr Erlöse erzielt und mehr Geld auf dem Konto gehabt. Der, der sich an die Regeln hält, hat am Ende weniger. Der, der sich nicht dran hält, hat mehr und kann dadurch wieder neu investieren. Die Schere geht immer weiter auf.

46, leitet die Kutterfisch-Zentrale. Er verhandelt für die Genossenschaft nicht nur über Fangquoten und Fischereiregeln, sondern kümmert sich auch um die tägliche Vermarktung des Fisches an der Börse. Er arbeitet auch den halben Samstag und hat seit zehn Jahren nicht mehr Urlaub gemacht.

Die Boote der Genossenschaftsmitglieder liegen in Cuxhaven, Sassnitz, Fehmarn, Travemünde und Kiel.

Die 127 Fischereifahrzeuge der Genossenschaft fischen rund 60 Prozent der deutschen Quote. 80 bis 90 Fahrzeuge fischen in der Ostsee, 20 bis 25 überwiegend in der Nordsee.

"Reform" bedeutet: Es gibt neue Regeln. Wer sagt Ihnen, dass die auch eingehalten werden?

Per se ist das keine Garantie dafür, dass es besser läuft. Wir gehen davon aus, dass Vergehen härter bestraft werden. Die Fischereireform ist ja Teil einer Agrarreform und Frau Damanaki hat durchgesetzt: Wenn es herauskommen sollte, dass sich jemand nicht an die Reformen hält, oder nach wie vor bestimmte Quoten überfischt, dann hat die Kommission das Recht, sämtliche Subventionen im Agrarbereich zu streichen. Für Deutschland hieße das: Wenn wir in der Nordsee Mist bauen, bekommt der Landwirt in Bayern seine Milchprämie nicht mehr.

Es gab aber auch einen Streit darüber, wieviel und womit gefangen werden darf.

Über die Quoten kabbeln wir uns jedes Jahr. Der Wissenschaftler gibt eine Empfehlung aufgrund einer Vorgabe der EU-Kommission. Diese lautet: Was muss passieren mit Bestand A, damit er nächstes Jahr wieder völlig o.k. ist? Demnach dürften wir eigentlich gar nicht fischen.

Das geschieht aber nicht.

Die Umweltorganisationen werfen uns und der Politik deshalb vor: Ihr haltet euch nicht an den wissenschaftlichen Rat, ihr überfordert die Natur, es bricht alles zusammen. Gott sei Dank gibt es Gegenbeispiele: Uns wurde vier Jahre hintereinander empfohlen, in der östlichen Ostsee gar nicht zu fischen. Wir haben trotzdem weiter gefischt, aber 30 Prozent weniger. Heute, fünf Jahre später befindet sich der Bestand auf einem historischen Hoch. Wir können der EU-Kommission nur dankbar sein, dass sie den Fang nicht über Managementpläne geregelt hat. Hätten wir vier Jahre lang nicht gefischt, gäbe es heute keine deutsche Fischerei mehr.

Die Nordsee galt einmal als eines der fischreichsten Gewässer weltweit. Wie kann es sein, dass sie heute leergefischt ist?

Nehmen wir unser Sorgenkind, den Kabeljau als Beispiel. Der Bestand erholt sich nicht. Warum? Weil die Fischerei 20.000 Tonnen Kabeljau fängt und über Bord wirft, weil die Fische zu klein sind oder der Fischer keine Quote für Kabeljau hat. Nur 20.000 Tonnen werden angelandet. Sie als Verbraucher sehen, dass die wissenschaftlich empfohlene Quote angelandet wird; was sie aber nicht sehen, ist, dass genau die gleiche Menge als Beifang über Bord gegangen ist. Das ist krank. Frau Damanaki will das Überbordwerfen verbieten. Alle gefangenen Fische sollen angelandet und auf die Quote angerechnet werden.

Als Geschäftsführer leiten Sie eine Genossenschaft mit 127 selbstständigen Fischern. Wie bekommen Sie die unter einen Hut?

Wir haben Vermarktungsregeln, die wir uns selber auferlegen. Wir wurden vom Marine Stewardship Council für eine nachhaltige Fischerei zertifiziert. Wer sich nicht an die damit einhergehenden Regeln hält, wird bestraft. Trotzdem haben wir Zulauf. Unsere Fischer merken: Durch die saubere und transparente Fischerei bekommen sie mehr für ihren Fisch.

Wie sind Sie zur Fischerei gekommen?

Ich habe jahrelang recht erfolgreich Eishockey gespielt. Statt Abitur zu machen, wollte ich Profi werden. Ich habe ein gutes Angebot bekommen, zog nach Düsseldorf und habe mir nach zwei Jahren das linke Knie zerschossen. Mit einem Plastik-Knie war die große Spinnerei vorbei. Als ich im Mai aus der Reha kam, waren alle Lehrstellen besetzt. Im Juli suchte eine Fischereigenossenschaft noch einen Auszubildenden und da nichts anderes da war, habe ich mich dort beworben. Es war also nie mein Herzenswunsch, in die Fischerei zu gehen. Aber ich bin glücklich und sehe meinen Beruf als Berufung an. Ich vertrete ganz tolle Jungs. Ehrliche Typen. Wenn ein Fischer Ihnen das Wort gibt, brauchen Sie keinen notariellen Vertrag. Aber wenn Sie einmal jemanden in der Fischerei anlügen, gibt es keine zweite Chance.

Wie lange sind Sie selbst rausgefahren?

Ich habe zwei Reisen mitgemacht in der Lehre, zwangsweise, eine in der Ostsee, eine in der Nordsee. Die in der Nordsee war keine gute Idee meines Chefs. Das war bei den Shetlands, Sauwetter, Windstärke zwölf. Ich hab' gedacht, ich müsste sterben. Ich konnte nichts essen und wurde dann angebunden im Bett, richtig festgezurrt. Die Seekrankheit war so schlimm, dass ich nur noch über Bord gehen wollte. Es sollte einfach aufhören. Ich hab vom Boot aus die Shetlands gesehen. Die waren vielleicht zwei Stunden weg und der Kapitän hat mich da nicht hingefahren. Nach zehn Tagen Kotzerei bist Du fertig. Man glaubt das nicht. Und dann kommen die alle zwei Stunden rein, machen Dir den Mund auf und kippen Wasser rein. Du darfst ja nicht austrocknen. Ich hab in den 14 Tagen zwölf oder 13 Kilo verloren. Meine Mutter war entsetzt.

Und Sie sind trotzdem nochmal mit rausgefahren?

Dann aber auf die Ostsee und nicht im Januar, sondern im Mai/ Juni. Da war die See ruhig. Ich fühlte mich gut und war auch nicht seekrank. Aber dieses Karussel-Fahren auf der Nordsee! Windstärke zwölf heißt: zehn Meter hoch und zehn Meter wieder runter. Das 24 Stunden am Tag und die fischen dabei und arbeiten!

Windstärke zwölf heißt kochende See...

Du siehst die Wellentäler und denkst: Wenn es jetzt oben zugeht, ist es aus. Und der Alte sitzt völlig entspannt auf seinem Stuhl und spricht über UKW. Ich sag': "Mit wem redest Du denn da?" Er sagt: "Das ist ein Kollege, der in der Nähe fischt." Aber immer, wenn der oben war, waren wir unten. Wir haben uns zehn Tage lang nicht gesehen. Die Kapitäne sind natürlich alle stark und tough. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass einer mal denkt: "Na geht das heute Nacht wohl alles klar?" Das würde ein Fischer natürlich nie zugeben, denn wenn der Kapitän nervös wird, hält sich die Crew nicht mehr.

Hat es Ihr Standing beeinträchtigt, dass sie auf der ersten Fahrt so schwer seekrank wurden?

Damit hatte ich jahrelang zu kämpfen: "Weichei" und so weiter. Da wird ja "deutsch" gesprochen. Man sagt klar an, was Sache ist. Man hat mich mehrmals eingeladen danach. Ich habe immer dankend abgelehnt, aus "Zeitgründen" selbstverständlich.

Es heißt, es gebe Seeleute, die die Seekrankheit nie loswerden.

Haben wir auch einen. Das ist ein sehr erfolgreicher Kapitän: Heiko Mahler. Der fährt seit 40 Jahren zur See und ist die ersten drei Tage seekrank. Seit 40 Tagen weiß der: Die ersten drei Tage liege ich flach oder ruf' Kurt. Und er fährt jedes Mal raus. Ich hab' ihn mehrmals gefragt: "Heiko, wieso tust Du Dir das an?" - "Fischerei ist so toll, da sind die drei Tage nichts", sagt der.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.