Mutterschutz für Führungskräfte: BVG-Chefin bleibt pausenlos

Sigrid Nikutta will die Verkehrsbetriebe nach der Geburt ihres vierten Kindes ohne Unterbrechung führen. Einen Rechtsverstoß sieht das Unternehmen nicht.

Wegweisendes Vorbild? BVG-Chefin Sigrid Nikutta Bild: dpa

Sigrid Nikutta, Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und eine der wenigen Frauen in einer Spitzenposition im Management großer Unternehmen, verzichtet auf ihren Mutterschutz. Die 42-Jährige will die BVG nach der Geburt ihres vierten Kindes im September ohne Unterbrechung weiter führen. Ihre Entscheidung kündigte Nikutta in dieser Woche auf der Bilanz-Pressekonferenz des Unternehmens an. Kritik, dass diese Entscheidung den gesetzlich geregelten Mutterschutz untergrabe, wies BVG-Sprecherin Petra Reetz zurück. "Das ist eine rein private Entscheidung von Frau Nikutta", sagte Reetz der taz.

Unter Mutterschutz fällt der Zeitraum sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt. Das "Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mütter" soll vor ungesunder Beschäftigung schützen. Es gilt nur für Arbeitnehmer, nicht für Selbständige. Kernpunkt ist das Beschäftigungsverbot. In den sechs Wochen vor der Geburt dürfen Schwangere nur beschäftigt werden, wenn sie sich ausdrücklich und jederzeit widerrufbar dazu bereit erklären. Für die acht Wochen danach gibt es die Ausnahme nicht.

Arbeitgeber, die gegen das Mutterschutzgesetz verstoßen, begehen eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Der BVG-Rechtsabteilung zufolge gelten die Regeln des Mutterschutzgesetzes für Nikutta als Vorstandsvorsitzende des landeseigenen 12.000-Leute-Betriebs nicht. Sie sehen die 42-Jährige in derselben Rolle wie eine Geschäftsführerin einer privatrechtlichen GmbH. Laut BVG gilt eine solche Chefin nach gültiger Rechtsauffassung nicht als Arbeitnehmerin.

Nikutta hat nach eigenen Worten zwar um den Geburtstermin im September "ein bisschen was frei geplant", will aber ansonsten das Unternehmen weiter führen. Das sei "dank modernster Kommunikationsmittel ohne weiteres von jedem Ort der Welt aus möglich - also auch von meinem Heimatort zwei, drei Stadtteile weiter". Die 42-Jährige hatte die Führung der BVG im Oktober 2010 übernommen. Sie studierte Psychologie und promovierte im Alter von 40 Jahren parallel zum Job im Fach Philosophie.

Familien- und Frauenpolitikerinnen im Abgeordnetenhaus bewerteten auf taz-Anfrage Nikuttas Verhalten höchst unterschiedlich. "Für mich ist der Mutterschutz unantastbar", sagte die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Anja Kofbinger. Wenn Frauen sich dafür entschieden, auf Teile davon zu verzichten, akzeptiere sie das zwar. "Ich halte es aber nicht für sinnvoll", sagte Kofbinger. Sie halte Nikutta jedoch nicht für eine Vorkämpferin der Abschaffung des Mutterschutzes.

Noch deutlicher äußerte sich die CDU-Abgeordnete Emine Demirbüken-Wegner: "Ich bedaure, dass sich Frau Nikutta so entschieden hat, und hoffe, dass nach der Geburt die mütterlichen Instinkte in den Vordergrund treten, so dass sie den Mutterschutz doch noch wahrnimmt." Eine solche mehrwöchige Ruhepause sei nicht nur aus medizinischer Sicht sinnvoll, sondern für Mutter und Kind auch psychologisch und pädagogisch durch nichts aufzuwiegen, meint Demirbüken-Wegner.

FDP-Familienpolitikerin Mieke Senftleben sieht das anders: "Ich würde das genauso machen wie Frau Nikutta."

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