Überbelegung in Schleswig-Holsteins Gefängnissen: Wenn im Knast kein Platz ist

Schleswig-Holstein hat zu wenig Haftplätze, Probleme mit menschenunwürdiger Überbelegung und will zwei Gefängnisse schließen. In Hamburgs Gefängnissen wäre genug Platz, aber Kiel winkt ab.

Eng, wenn auch ohne Innen-Latrine: Zwei-Mann-Zelle in der JVA Neumünster. Bild: Michael Staudt

HAMBURG taz | In Schleswig-Holstein fehlen Haftplätze für Männer und 46 Zellen in der JVA Lübeck sind mit insgesamt 92 Insassen überbelegt. Dennoch sollen zwei der fünf Gefängnisse in Schleswig-Holstein geschlossen werden. "Alle Alternativen zu einer Schließung wurden geprüft und sind nicht umsetzbar", sagte Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) am Mittwoch im Landtag.

Schmalfuß will die kleineren Gefängnisse in Flensburg und Itzehoe 2013 beziehungsweise 2020 schließen und durch die Stilllegung binnen zehn Jahren 24 der landesweit 887 Stellen im Justizvollzug abbauen. Gleichzeitig sollen die Haftanstalten in Lübeck, Neumünster und Kiel modernisiert werden, beispielsweise neue Sportanlagen bekommen. Anlass für die erneute Debatte im Landtag war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu verfassungswidrigen Unterbringung in Haftanstalten wie der JVA Lübeck (siehe Kasten), das die Überbelegung in Schleswig-Holsteins Gefängnissen noch mal deutlich machte.

Für Schmalfuß ist das Karlsruher Urteil "kein Aspekt, der eine Neufassung der Schließungsentscheidung notwendig macht". Ministeriumssprecher Oliver Breuer verwies auf freie Plätze im offenen Strafvollzug. In der kommenden Woche werde mit den Anstaltsleitern darüber diskutiert, wie diese Möglichkeit stärker genutzt werden könne.

"Die Schließung des Untersuchungsgefängnisses Flensburg ist blinder Aktionismus", sagt Thorsten Schwarzstock, Regionalgruppenvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Schleswig-Holstein. "Flensburg ist Landgerichtsbezirk und ohne angeschlossene JVA müsste ein Häftling begleitet von zwei Beamten jeden Tag aus einer der anderen Haftanstalten zum Prozess gefahren werden." Die von Schmalfuß in Aussicht gestellten Einsparungen wären mit diesem Mehraufwand schnell hinfällig. Außerdem bringe es nichts, freie Plätze im offenen Vollzug zu haben, wenn Haftplätze im geschlossenen Vollzug fehlten.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass zwei Gefangene nicht 23 Stunden am Tag in einer acht Quadratmeter großen Zelle ohne abgetrennte Toilette eingesperrt werden dürfen. Das verstoße gegen die Menschenwürde (Az. 1 BvR 409/09).

Die Gefangenen können "die Unterbrechung beziehungsweise die Aufschiebung der Strafe beantragen", wenn keine menschenwürdige Unterbringung möglich ist. Aus der JVA Lübeck wollen bisher fünf Insassen nach Kiel verlegt werden

Ein Ex-Häftling aus Nordrhein-Westfalen hatte die Verfassungsbeschwerde eingereicht, nachdem er 151 Tage mit wechselnden Zellengenossen in Acht-Quadratmeter-Zellen ohne abgetrennte Toilette untergebracht war.

Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), befürwortet die Schließung der Gefängnisse in Itzehoe und Flensburg, weil die Kriminalität rückläufig sei. Wenn die Stabilität in den Nachbarländern erhalten bleibe, dann sei hier mit keiner Trendwende zu rechnen. "Die Vergreisung der Republik fördert die sichere Gesellschaft", sagt Pfeiffer. "Allein in Hamburg ist die Gewaltkriminalität in den vergangenen zehn Jahren um 30 bis 40 Prozent gesunken." Auch die Tötungsdelikte sind im gleichen Zeitraum um 30 Prozent zurückgegangen. Die Überbelegung sei deshalb nur ein Übergangsproblem.

Pfeiffer schlägt für Schleswig-Holstein eine Kooperation mit Hamburg vor, wo von den insgesamt 2.531 Haftplätzen derzeit nur 1.757 belegt sind. Die vielen unbelegten Haftplätze in Hamburg sind ein Überbleibsel der Schwarz-Schill Regierung, die im Frühjahr 2002 auf rund 200 fehlende Haftplätze mit einem neuen Gefängnis in Billwerder reagierte. "Damit der Kampf gegen die Kriminalität fortgesetzt werden kann, braucht Hamburg dringend mehr Plätze im Strafvollzug", sagte der damalige Innensenator Roger Kusch (CDU), der Sorge vor einem Anstieg der Kriminalität hatte und einen Aufnahmestopp in den Gefängnissen vermeiden wollte.

Die vielen unbelegten Haftplätze könnte nun Schleswig-Holstein nutzen. Ganz nach Bremer Vorbild: Hier hat der Haftausgleich mit Niedersachsen bereits eine jahrzehntelange Tradition. "Pro Jahr bringen wir 40-60 Häftlinge mit Langstrafen von mehr als acht Jahren in niedersächsischen Gefängnissen unter", sagt Katrin Gellinger, Pressesprecherin des Bremer Justizsenats. "Wir haben damit nur gute Erfahrungen gemacht."

"Was in Schleswig-Holstein aber erstmal gebraucht wird, ist eine Prognose der Häftlingszahlen in den kommenden zehn Jahren", sagt Pfeiffer. "Ohne diese Zahlen sollte auch in die anderen drei Haftanstalten nichts investiert werden." Solche Prognosen seien schwierig, da es in den vergangenen zehn Jahren immer wieder Belegungsschwankungen gab, die so nicht vorhergesagt worden seien, meint Breuer. "Realistisch erscheint es, von einer Belegung für die nächsten Jahre auf dem derzeitigen Niveau auszugehen." Von einer Kooperation mit dem Nachbarbundesland hält Breuer nichts. "Wir versuchen, die in Schleswig-Holstein bestehenden Möglichkeiten zu nutzen", sagte er.

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