Projekt zur Wiederverwertung: Kunst statt Müll

Seit knapp fünf Jahren arbeitet das Projekt "Kunst-Stoffe" erfolgreich an der Vermeidung von Abfall und der Förderung von Kunst. Der Standort in Pankow muss allerdings bald Parkplätzen weichen.

Papier zum Beispiel. Man kann neues daraus machen - oder Kunst. Bild: dpa, Patrick Pleul

Ein Einkaufswagen voller Abwasserrohre steht in der Ecke, gleich neben einer Schubkarre, aufgestapelten Holzpaletten und einem Dutzend meterhoher Eisenstangen. Was auf den ersten Blick wie eine wilde Ansammlung von Sperrmüll anmutet, ist tatsächlich der Hinterhof von "Kunst-Stoffe", der "Zentralstelle für wiederverwendbare Materialien" an der Berliner Straße, gleich hinter dem S- und U-Bahnhof Pankow. Seit viereinhalb Jahren hat sich das Projekt dem Dreiklang "Abfallvermeidung, Kulturentwicklung, Kreativitätsförderung" verschrieben: Wer etwa Metall- oder Holzreste, Pappe oder Fliesen übrig hat, findet hier eine Alternative zur bloßen Entsorgung. Bildungseinrichtungen, BühnenbildnerInnen und andere Kulturschaffende wiederum können sich mit für ihre Arbeit notwendigen Materialien eindecken.

Vor einer meterhohen Mauer, an der sich ein wild wuchernder Strauch entlangrankt, sitzt Kunst-Stoffe-Mitbegründerin Corinna Vosse in einem großen weißen Sessel aus Styropor. Die Künstlerin und Kulturforscherin erklärt den weit über eine bloße Tauschbörse hinausreichenden Ansatz des Projekts: "Im Grunde genommen ist das hier eine Logistikzentrale, die über visuelle Präsentation und Kontextualisierung die Aufwertung von Müll zu Material ermöglicht." Alles etwa von Baumärkten oder Privatpersonen Abgegebene oder Abgeholte wird auf dem Kunst-Stoffe-Areal zunächst nach seiner Beschaffenheit und möglichen Anwendungsfeldern sortiert, um es dann für eine neue Nutzung bereitzustellen.

Gelb gestrichene Garagentore säumen einen gepflasterten Weg, fein säuberlich aufgetragene Buchstaben verraten, was sich dahinter verbirgt: "Holz", "Deko & Papier", "Plastik & Folien" oder "Farbe" steht dort - wer hierherkommt, um sich für die Gestaltung eines Bühnenbildes oder ein Kunstprojekt einzudecken, muss sich nicht erst durch Berge von Verbrauchtem wühlen. "Es ist eine soziale Konstruktion, die in unserer Gesellschaft sehr ausgeprägt ist: Wenn jemand anders etwas nicht mehr will, dann ist das Müll. Diese subjektive Entwertung wird dann zu einer objektiven Materialeigenschaft", sagt Vosse.

Um dieser Verschwendungslogik etwas entgegenzusetzen, gründete sie nach einem fünfjährigen USA-Aufenthalt mit einer Kollegin im Jahr 2006 Kunst-Stoffe, nach dem Vorbild der in Nordamerika verbreiteten "Material for the arts"-Zentren. Wie diese ist Kunst-Stoffe mehr als ein schnödes Materiallager. Über das "Artists in Residence"-Programm kommen Kunstschaffende aus aller Welt nach Pankow, um hier zu arbeiten, auszustellen und sich mit lokalen KünstlerInnen zu vernetzen. Ihnen wie allen Interessierten stehen auch die öffentlichen, entsprechend mit Maschinen ausgestatteten Metall-, Holz- und Textilwerkstätten zur Verfügung.

Aus einer solchen Werkstatt dröhnt gerade das Rattern einer Säge. Projektmitarbeiter Andreas ist mit dem Bau eines Lastenfahrrads beschäftigt: "Damit holen wir oft auch Materialien bei Spendern ab", erzählt er. Der vor dem Lenker positionierte Stauraum verkrafte bis zu 80 Kilo. Mieten kann man die pedalbetriebenen Dreiräder auch - die Nachfrage sei groß. "Das ist so etwas wie unsere Nebenbaustelle in Sachen ökologische Mobilität", sagt Vosse und schmunzelt.

Zudem kümmert sich das Projekt um Weiterbildung: Es gibt Fortbildungsveranstaltungen für PädagogInnen, Seminare zu Konsumgewohnheiten sowie Workshops für Kinder und Jugendliche. Die Jüngsten seien dabei die empfänglichste Zielgruppe, berichtet Vosse: "Sie sind vorbehaltloser und haben dieses Konzept Müll noch nicht so verinnerlicht." Altersunabhängig hoch sei dagegen die Überraschung bei den Menschen, wenn sie vor Augen geführt bekommen, wie unfassbar viel Müll heute produziert wird. "Es gibt immer diese Wahrnehmung, dass es in Deutschland kein Müllproblem gibt, in Rumänien etwa aber schon", so Vosse. Dabei sei das Pro-Kopf-Abfall-Aufkommen in Deutschland viel höher als in Rumänien. "Aber durch diese hiesige Unsichtbarmachung von Abfall ist er dem Zugriff entzogen und auch als Problem nicht mehr sichtbar."

Sichtbar - viel mehr als künstlerische Ressource für neuen Wert denn als Problem - wird vermeintlicher Müll bei Kunst-Stoffe noch auf ganz andere Weise: im "Museum of contemporary TrashArt" (MocTA), dem nach eigenen Angaben ersten und einzigen Trashart-Museum der Welt. Initiiert wurde es von einer Münchner Künstlerin während ihres Arbeitsaufenthalts bei Kunst-Stoffe hier. Seitdem zieren Skulpturen und Plastiken aus wiederverwendbaren Materialien den Ausstellungsraum, der auch als Forum für Lesungen und Performances dient.

Als das MocTA vor zwei Jahren von Pankows Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) eröffnet wurde, bewies dieser nahezu hellseherische Fähigkeiten: "Es wäre schön, könnten Sie länger bleiben, ohne dass irgendjemand kommt und meint, er müsse jetzt hier irgendwas ganz Tolles hinbauen." Denn tatsächlich wird das Gelände, auf dem heute Kunst-Stoffe und MocTA residieren, bald mit etwas "ganz Tollem" bebaut: mit Parkplätzen. Deshalb hat der Liegenschaftsfonds (LiFo) den Zwischennutzungsvertrag mit Vosse und ihren MitstreiterInnen inzwischen gekündigt. Doch im Gegensatz zu vielen anderen nichtkommerziellen Initiativen bedeutet das Ende der Zwischennutzung für Kunst-Stoffe wohl keine existenzielle Bedrohung: "Der LiFo bietet uns Ersatzorte an. Insofern werden wir den Umzug nutzen, um zu wachsen und uns zu verbessern", erzählt Vosse mit ruhiger Stimme.

Es sei ein schwieriger Prozess gewesen, eine derart optimistische Sichtweise einnehmen zu können. "Zunächst war alles sehr vage, total intransparent: Was genau geschieht und wann, können wir das irgendwie beeinflussen?", habe man sich nach der Kündigung gefragt. Zwar ist die Frage der Lage des neuen Standorts immer noch ein Knackpunkt - das Projekt will sich nicht an die Peripherie drängen lassen. Doch die Kommunikation mit dem LiFo verlaufe nunmehr viel kooperativer, die angebotenen Grundstücke seien vielversprechend. Erst die Anerkennung auf allen Ebenen - von Politik und Verwaltung wie von den Nutzern - habe solch gute Ausgangsbedingungen für die Frage nach der Zukunft geschaffen.

Auf eben diese Zukunft freut sich auch Lastenfahrradbauer Andreas, wenngleich seine nicht motorisierten Transportmittel für den Umzug kaum ausreichen werden: "Da werden wir uns dann wohl doch einen Wagen mieten müssen."

Weitere Infos unter www.kunst-stoffe-berlin.de

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