Plädoyer für den gerechten Zorn: Herr, gib uns Wut

Wenn es um Kirchenfragen geht, dann wird in München viel gebuht. Wird es politisch, klatschen sich die Gläubigen nur taub. Die Kirche krankt, es fehlt an Unmut.

Wäre Gott in München, er wäre zornig. Bild: underexposed949 / lizenz: by

MÜNCHEN taz | Der VfL Bochum ist ein Abstiegsverein. Es sah ganz gut aus, zu Beginn der Saison. Und dann lief nichts mehr. Tore schießen konnte der Verein noch nie. Und wenn der Gegenangriff kommt, dann krankt die Abwehr. Das hat in Bochum Geschichte und Struktur. Im Fußball gibt es dafür gute Regeln. Die Loser von der Ruhr sind abgestiegen, die Fans empört. Sie fordern: Schmeißt die Bosse raus!

Was die Ewigkeit anbetrifft, gibt es jedoch kein Ende der Saison. Immerhin geht es auch in München rund – manchmal. Auch beim 2. Ökumenischen Kirchentag wird gebuht. Mit Schmährufen und Empörung reagieren die christlichen Gläubigen auf sperriges Verhalten ihrer Bosse. Das Zölibat, die Aufklärungsdebatte und überdominierte Männerwelten – sie werden von den Christinnen und Christen rau begleitet. Wenn es um Kirche geht, dann sind die Christenmenschen unruhig. Geht es um mehr, verstummen sie. Doch zwischen der Glaubensgemeinschaft eines Sportvereins und der der Kirche gibt es, nehmen wir an, nun wahrlich Unterscheide. Die einen interessiert ihr VfL. Das Kirchenvolk sollte die Menschheit interessieren. Die Welt der Krisen.

Die halbe Bundesregierung läuft derzeit in München auf, PolitikerInnen aller Parteien versammeln sich. Es geht um Klimawandel, Hunger und Gerechtigkeit. Es geht um Krisen aller Art. Es geht ums Kuscheln. Wird es politisch, geht es aber nie um eins – um echten Streit. Die Repräsentanten der politischen Verhältnisse, hier sind sie heilig. Es ist ein Christenfest mit Friedenspflicht. Es ist ein Friede, der nicht in diese kranke Zeit passt. Wäre Gott heute in München, er wäre zornig.

Denn in den Messe- und Turnhallen, in denen der christliche Austausch sich schmeckt, lebt der Dialog wo er politisch wird nur durch wohlmeinendes Verständnis, durch betuliches Nicken, durch „Ja-Geschwister-wir-verstehen-uns“. Es ist ein komatöser Kult, es ist ein Abgesang.

Ist Zorn nicht ein zutiefst göttliches Geschenk? Wird nicht schon biblisch von gerechtem Zorn gesprochen? Ist die Begabung zur Wut nicht eine väterliche Mitgift geradezu? Und wer wollte nun zornig sein, wenn nicht die hochversuchten, vielverstörten, weitgeplagten Mitglieder dieser zwei Glaubenskirchen, die auf dem Ökumenischen Kirchentag ja nicht nur die Hoffnung feiern dürfen. Sie reden, reden, reden über alles irgendwie. Und doch fehlt immerzu der echte Zorn.

Noch immer lebt die Kirche, auch die kirchliche Basis, die sich in München trifft, von ihren institutionalisierten Tabus. In den politischen Diskussionen wird dies überdeutlich. Sie sind getragen von nur allzu frommen Augenblicken, kein Eklat und auch kein lautes Wort, kein böser Blick. In Streitgesprächen wird sich nicht gestritten. Es wird geknuddelt bis die Kopfhaut knistert. Der Kopf ist da, doch sind die Herzen zu. Das müsste doch verstörend wirken? Doch es stört niemanden.

Seit dem 11. September 2001 ist die religiöse Dogmenwahl wie kein zweiter Mythos zum Mega-Topos der kulturellen Abgrenzung geworden, zum Potentialprimat der Prämoderne über die Gesellschaft. Das Religiöse ist das neue schwere Wunder. Es ist damit auch Großgefahr, es braucht den Streit. Euer Herr Jesus, traute Menschengeschwister, sprach das Unbequeme aus. Und er befragte seine Welt in Gänze.

Sein echter Zorn trug Früchte. Wer heute noch immer nur hofft, hat nix begriffen. Der Friede ist in die Menschen gefahren. Herr, bitte, gib uns unseren gerechten Zorn zurück. Es braucht Bambule.

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