Kolumne Landmänner: Der Feind in seinem Bett

Mein Mann ist mal neben der Staatssicherheit aufgewacht. Heute geben die Bürger auch ohne Aufforderung alles preis.

Mein Mann war mit der Stasi im Bett. Das ist schon lange her und es war keine Absicht. Es ist nicht so, dass er "sich nicht mehr erinnern" kann. Er wusste es anfangs schlicht nicht. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte ihm einen "Gay Romeo" auf den Hals gehetzt, um Licht in das oft nur von Kerzen beschienene Dunkel der Schwulen-, Künstler- und Intellektuellenszene in Prenzlauer Berg zu bringen. Dass es sich bei dem jungen Mann, in den er sich verliebt hatte, um einen Stasimann gehandelt hatte, erfuhr er erst, als dieser seine Dienstanweisung überschritt. Der "Gay Romeo" hatte sich in das auszuhorchende Objekt verliebt.

Und schwupps hatte die Liebe der Staatsmacht ein Schnippchen geschlagen, aus war es mit Konspiration und Überwachung. Fortan erzählten beide jedem, egal ob er es wissen wollte oder nicht, dass die Firma Horch & Guck bei ihnen auf der Matte rumstünde, wie ein Staubsaugervertreter im Westen.

Das ist nun auch schon über zwanzig Jahre her, und ich überwache meinen Mann höchstens, indem ich ab und zu mal eine freundliche Drohmail an seine "Gay Romeo"-Adresse schicke, jener schwulen Web-Community, die man auch das "Schwule Einwohnermeldeamt" nennt. Doch während ehemalige Stasimitarbeiter mit Gedächtnisstörungen - die womöglich der allgemeinen "Informationsüberflutung durch die neuen Medien" geschuldet sind - weiterhin politisch aktiv sind, hat sich das mit der aufwendigen Überwachung und Ausschnüffelung der Bürger im Prinzip erledigt.

Die geben auch ohne Aufforderung alles preis. "Ja Wahnsinn, komm mal schnell gucken", rief mein Mann aus dem Wohnzimmer. Er war mal wieder im Netz. Allerdings leuchtete die Seite nicht "Gay Romeo"-blau, stattdessen sah man ein Filmchen laufen. Ein optisch etwas verzerrt wirkender Herr saß auf einem Sofa, das er ordentlich mit einem Mond-&-Sterne- Handtuch bedeckt hatte und bearbeitete liebevoll seinen Schwellkörper "Ach Gott, schaust du Schwulen-Pornos?", fragte ich. "Von wegen, das sind Heten, die live vor der Web-Cam onanieren und sich dafür beklatschen lassen." Potzblitz, dachte ich und setzte mich vor den Rechner. Und in der Tat, er hatte Recht: auf cam4.com werden alle Forderungen von "Transparency International" zur knallharten Tatsache. Ein junger Mann mit voluminösem sekundärem Geschlechtsmerkmal aus Ohio, zappelte nervös auf seinem Stuhl und wurde in der rechten Bildleiste von zahlreichen Community-Mitgliedern, Männlein wie Weiblein, genötigt, doch endlich mal den Blick frei zu geben, indem er sich seiner Unterhose entledige. Er zierte sich ein wenig, versicherte per Message mehrmals, dass er "totally str8" sei, aber dann traute er sich. Woraufhin die rechte Bildleiste rotierte wie die Anzeige einer Slot-Maschine "Yeah" (bi-interested); "Great, Man!" (gay), "Cute Guy" (female) etc.

Als wir dann abends noch einen Spaziergang im nahen Luch machten, glühte der brandenburgische Himmel so Rot in Rot, dass man hätte meinen können, das Abendland ginge unter. Aber Potsam war weit und wir waren offline. Wir winkten einem Schwarm Kraniche, der über uns hinwegzog, und freuten uns, dass die jungen Leute von heute so offenherzig sind, dass ihre Überwachung am Ende viel zu personalintensiv wäre. Und wir freuten uns über all die jungen Menschen, die gerade weltweit und mit großer Selbstverständlichkeit Freude an ihren Geschlechtsorganen haben. Ernste Probleme gibt es ja schon genug.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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