Die linke Festung von Mügeln

RECHTSEXTREMISMUS Trotz des Angriffs auf Inder vor zwei Jahren leugnet der Bürgermeister ein Neonazi-Problem. Das wird jedoch immer sichtbarer, seit es dort ein Antifa-Haus gibt

■ Über 20.000 rechtsextreme Straftaten soll es 2009 gegeben haben, sagte Bundeskriminalamt-Chef Jörg Ziercke am vergangenen Donnerstag in Berlin. Damit bleibe die Zahl auf dem Rekordniveau des Vorjahres. 2008 war mit mehr als 20.000 Delikten der höchste Wert seit Einführung eines neuen Zählsystems 2001 erreicht worden. Der BKA-Präsident forderte, Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten weiterzuführen. In Deutschland gebe es pro Tag durchschnittlich zwei bis drei rechte Gewalttaten. Die rechte Szene umfasse rund 30.000 Menschen, ein Drittel gelte als gewaltbereit. Nach Zierckes Worten zeichnet sich rechte Gewalt durch besondere Brutalität aus. Seit 1990 zählten die Sicherheitsbehörden 47 Mordopfer rechter Gewalt, Opferinitiativen dagegen etwa 140 Opfer.

AUS WURZEN MICHAEL BARTSCH

Die Haustür des Gebäudes Ernst-Thälmann-Straße 55 im sächsischen Mügeln ist von innen verbarrikadiert. Zerstörte Oberlichtscheiben über der Tür verraten noch, wo Mitte November der Feuerwerkskörper der Profi-Klasse 4 in den Hausflur geschossen wurde.

Dort hängt, wie zum Hohn, das Jugendschutzgesetz. „Sprengstoffanschlag klingt ein bisschen übertrieben, aber wenn jemand im Haus gewesen wäre, hätte es mit Sicherheit Verletzte oder mindestens Hörschäden gegeben“, meint Roman Becker, Gründungsmitglied des Vereins Vive le Courage in Mügeln.

Seit der Jugendverein, der den Neonazis am Ort etwas entgegensetzen will, sich in dem verlassenen großen Wohnhaus im Gründerzeitstil einmieten konnte, muss er täglich mit Anschlägen rechnen. Die Fenster im Erdgeschoss sind inzwischen komplett entfernt und durch Bretter ersetzt worden.

Ins Haus gelangt man nur über eine Hintertür aus Metall. Erstaunlich gelassen gehen die Jugendlichen mit den festungsartigen Umständen um. „Am schlimmsten war die Belagerung am 28. August“, berichtet Becker. Das war der Abend vor einem Konzert zum Abschluss einer antirassistischen Aktionswoche. Ein Mob von mehr als 40 Personen „teilweise aus dem rechten Spektrum“, so hieß es in der Einschätzung der Polizei später, hatte sich vor dem Haus versammelt. Flaschen und Feuerwerkskörper flogen.

Nach den weit über die Stadt hinaus bekannt gewordenen Übergriffen auf Inder beim Stadtfest vor zwei Jahren wollten junge Leute mit der Gründung von Vive le Courage ein Zeichen setzen. Ein Zeichen gegen das Schweigen und die Ignoranz in der Stadt. Nichtrechte Jugendkultur wollten die Gründer des Vereins pflegen, ähnlich wie die bundesweit bekannt gewordene Aktion Zivilcourage in Pirna.

Die Gartenlaube, in der man sich anfangs traf, wurde bald zu klein. Auf der Suche nach einem Domizil konnte man sich mit dem Immobilienverwalter des abgewohnten Hauses an jener Straße einigen, die noch immer nach dem vom NS-Regime ermordeten KPD-Führer Thälmann benannt ist. Die 300 Euro Miete und ein bisschen Geld für die Kohlenheizung und Veranstaltungen kommen aus dem Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“.

Die Reaktionen auf die Übernahme des Hauses sind für eine Kleinstadt wie Mügeln typisch. Selbstverständlich sind es die Linken, die nun für Unruhe sorgen. Angeblich häufen sich Einbrüche in der Nachbarschaft und ausgebrochene Zaunlatten. „Die Nazis haben sich wahrscheinlich nur mal in der Tür geirrt“, heißt es dazu im Haus. André berichtet von seinen Eltern, nach deren Auffassung hier „nur Arbeitslose herumsitzen und morgens schon Bier trinken“. Roman Becker aber bringt den Konflikt auf den Punkt: „Seit wir das Haus haben, fällt auf, dass es Rechte in Mügeln gibt.“ Eine Tatsache, die Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) bislang beharrlich geleugnet hat.

„Seit wir das Haus haben, fällt auf, dass es Rechte gibt“

ROMAN BECKER, MÜGELN

In seinem Rathaus gibt es auch keine Stellungnahme zum Jugendhaus von Vive le Courage. Jugendfachkraft Kristin Jarke erklärt sich auf Anfrage nur für die beiden städtischen Jugendklubs zuständig. Das zwischen Linken und Rechten lange umkämpfte FreeTimeInn ist im Vorjahr umstrukturiert wiedereröffnet worden. Der Verein, der es ehemals verwaltete, verlor seine Aufgabe. Nun hat die Stadt hier das Sagen. Ende November konnte sich Vive le Courage im Verwaltungsausschuss der Stadt vorstellen. Selbstverständlich distanziert man sich dort offiziell von den Ausschreitungen und will dem Verein Gelegenheit geben, sich im Amtsblatt für alle Bürger vorzustellen und so „aus der Anonymität herauszukommen“.

Auf das Wohlwollen der Stadt ist der Verein angewiesen. Denn das Gebäude gilt als Wohnhaus und müsste für eine halb öffentliche Nutzung mit bis zu 50 Gästen Brandschutz- und andere Sicherheitsauflagen erfüllen. Bis dahin haftet Bürgermeister Deuse für mögliche Vorfälle. Etwa 5.000 Euro würde ein solcher Umbau kosten. Das schafft das größtenteils noch in der Ausbildung stehende runde Dutzend Vereinsmitglieder nicht allein. Auch die Kleinspenden von Gewerbetreibenden in Mügeln, die es immerhin gibt, reichen nicht.

Den sächsischen Demokratiepreis, dessen Geld für Sicherheitsglas verwendet werden sollte, hat man nur knapp verfehlt. So bleibt für die Verwirklichung der schönen Pläne, die es für die zahlreichen Räume gibt, nur das Zupacken mit den eigenen Händen. Immerhin: Bunte Graffiti sind bereits gesprüht.

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