Debatte Rot-rot-grüne Mehrheiten: Wenn sie klug sind

Die Ergebnisse in Thüringen und im Saarland bringen endlich Leben in den Wahlkampf. Kommt es jetzt doch noch zu einem Linksbündnis?

Es gibt rot-rot-grüne Mehrheiten im Saarland und in Thüringen. Das ist ein ziemlich spektakuläres Ergebnis - dessen kurzfristige Auswirkung auf die Bundestagswahl ist allerdings eher gering. Rot-Rot-Grün im Bund wird es nicht geben. Immer und immer wieder hat die SPD dies beteuert - und damit töricht und fahrlässig ihre Machtmöglichkeiten eingeschränkt. Doch jetzt ist sie an dieses Versprechen gefesselt. Wenn sie es bricht, wird dies innerparteiliche Zentrifugalkräfte freisetzen, die die SPD zerstören werden. Das weiß auch die SPD-Linke. Kurzum: Frank-Walter Steinmeier, Klaus Wowereit und Andrea Nahles werden eher zusammen nackt über den Berliner Kudamm laufen, als im Oktober eine rot-rot-grüne Koalition im Bund zu installieren.

Auf mittlere Sicht sieht die Lage anders aus. Es gibt eine Regel in der bundesrepublikanischen Politik: keine Koalition im Bund ohne erfolgreichen Testlauf in den Ländern. Das gilt auch für Rot-Rot-Grün, das es, wenn überhaupt, im Bund nicht als Coup geben wird, sondern nur am Ende einer vorsichtigen Annäherung. SPD und Linkspartei sind sich gegenseitig in tiefer Abneigung verbunden. Deshalb brauchen gerade rot-rote Bündnisse viel Vertrauen. Dieses Vertrauen bildet sich nicht in Hinterzimmern und auf Oppositionsbänken, sondern nur durch gemeinsames Regieren. Wenn es der Linkspartei gelingt, in Berlin, Saarbrücken und Erfurt mitzuregieren, wird dies das derzeit in Stein gemeißelte Nein der SPD zu Rot-Rot-Grün langsam auswaschen. Mit jedem Monat störungsfreien Regierens wird das Fundi-Nein der SPD schwächer werden.

Die Kernfrage lautet: Wird es dazu kommen? Oder werden SPD, Grüne und Linkspartei in Saarbrücken und Erfurt diese Chance in den Sand setzen? In Saarbrücken ist die Lage noch vergleichsweise übersichtlich. Die Grünen halten es sich offen, ob sie Schwarz-Gelb oder Rot-Rot stützen. Das macht sie interessant, schon deshalb werden sie dieses Spiel noch ein wenig weitertreiben. Inhaltlich sind sie, vor allem bei der Bildungspolitik, Rot-Rot zwar viel näher. Und auch die Bundesgrünen hoffen inständig, dass die, nun ja, eigenwilligen Saar-Grünen nicht mit einer Kamikaze-Aktion Peter Müller retten. Doch sicher ist nichts.

Das Gerangel im Wahlkampf zwischen Lafontaine und den Grünen hat zudem eine neue Spannungslinie in der fragilen rot-rot-grünen Architektur freigelegt. Die soziale und kulturelle Kluft zwischen dem bildungsbürgerlichen Akademiker, der Grün wählt und im Bioladen einkauft, und grauhaarigen Gewerkschaftern und Hartz-IV-Empfängern, die bei Aldi einkaufen und Linkspartei wählen, ist größer die als zwischen SPD und Linkspartei. Es wird auch von Heiko Maas Geschick abhängen, ob Rot-Rot-Grün funktioniert. Das ist, wenn man an das Drama in Hessen denkt, eine verkehrte Welt. Dort spielten die Grünen die Rolle des grundvernünftigen Therapeuten, der erfolglos versuchte, das Beziehungsdrama zwischen SPD und Linkspartei zu kurieren. Diesmal scheinen die Grünen auf der Couch zu liegen.

In Thüringen ist die Situation noch viel kniffliger. Eigentlich wollen SPD und Linkspartei zusammen regieren. Sie haben auch eine Mehrheit, doch die Matschie-SPD hat geschworen, Bodo Ramelow nicht zum Ministerpräsidenten zu wählen. Wegen der SED-Vergangenheit und weil es die SPD in Thüringen wohl zerreißen würde, einen Linkspartei-Ministerpäsidenten zu wählen. Allerdings würde sie es auch zerreißen, wenn sie dem ramponierten CDU-Mann Dieter Althaus seinen Job rettet. Die Linkspartei aber pocht auf der Macht. Sie hat ja auch fast 10 Prozent mehr als die SPD. Zudem ist die SPD-Linie widersprüchlich. Wenn die Linkspartei eine antidemokratische Gefahr ist, kann man auch nicht mit ihr koalieren. Ist sie es nicht - warum soll sie dann nicht den Ministerpräsidenten stellen? Die Linkspartei hat in Erfurt also ein bisschen mehr recht als die SPD - und wird in der Opposition enden, wenn sie auf diesem Recht beharrt. So steuern SPD und Linkspartei in Thüringen auf eine Selbstblockade zu. Die Tür ist verriegelt, der Schlüssel weggeworfen. Sportiv betrachtet gab es selten eine so offene, verzwickte und absturzgefährdete Situation. Um diese aufzulösen, muss ein Kompromiss her. Denkbar ist ein dritter Kandidat - allerdings ist das Angebot an linken, parteilosen Ministerpräsidenten mit Verwurzelung in Thüringen gerade eher knapp. Denkbar ist eine israelische Lösung - dann würden Ramelow und Matschie je zwei Jahre regieren. Denkbar ist auch, dass Ramelow souverän verzichtet, die Linkspartei mehr Minister bekommt und diese noble Geste die Verbannung der Linkspartei aus den Machtzentren endgültig beendet.

All das ist denkbar. Ob es so kommt, hängt von der Klugheit der Akteure ab. Linkspartei und SPD in Erfurt müssen sich aus der Machtlogik des politischen Betriebs lösen. Schaffen sie dies, werden sie einen Kompromiss finden, der niemand blamiert. Schaffen sie es nicht, sind sie beide blamiert.

Rot-Rot-Grün ist ein merkwürdiges Gebilde. Politische Leidenschaften löst diese Kombination nur bei deren Gegnern aus. Rot-Rot-Grün ist kein Projekt, das von einer nach vorn drängenden Generation oder einer machtvollen sozialen Bewegung getragen wird. Es gibt zwar gemeinsame Ziele - von einem egalitären Bildungswesen über den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft bis zu mehr sozialer Balance zwischen Reich und Arm -, doch hochfliegende Erwartungen verknüpft kaum jemand mit Rot-Rot-Grün. Das hat auch Vorteile. Pragmatismus ist nicht das Schlechteste.

Bei den Kommunalwahlen in NRW ist fast jedes zehnte Linkspartei-Mitglied in ein kommunales Gremium gewählt worden. Dort werden sich die Genossen weniger um die Weltrevolution als um verkehrsberuhigte Zonen und klamme Haushalte kümmern. Diese segensreiche Wirkung der kommunalen Demokratie öffnet die Chance, dass die Linke dort ihre Kinderkrankheit, den abstrakten Radikalismus, abstreift. Die SPD hat im Saarland die Chance, ihre neurotische Fixierung auf die Linkspartei zu überwinden, die besser verdienenden Grünen könnten ihre Aversion gegen die unten abstreifen. Gelingt dies, dann bleibt Rot-Rot-Grün kein Zwischenspiel.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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