ausgehen und rumstehen
: Zwischen Office und Gras klafft eine Textlücke

Ein paar Freunde und ich haben eine gemeinsame Schwäche, und die heißt Gastronomie. Hier endet jede Vernunft, vor allem, was finanzielle Investitionen in diesen Wirtschaftszweig betrifft. Manche Menschen unterstützen vielleicht lieber die Mineralölindustrie, andere die Mobilfunkindustrie, bei uns ist es jedenfalls die Gastronomie.

So kam es, dass ich mich mit einem Vertreter dieser Fördergemeinschaft ausgerechnet am Samstagabend zur Rushhour in der Punkrock-Pizzeria I Due Forni wiederfand. Es war gleich klar, dass wir auf keinen Fall einen eigenen Tisch bekommen und mindestens vierzig Minuten auf unsere Pizza warten würden.

Beim Öffnen der Tür schlägt uns bullige Hitze und ohrenbetäubender Lärm entgegen. Nachdem wir uns durch die Warteschlange gekämpft haben, schiebt uns ein Kellner mit Ring im Ohr eilig zwischen bekritzelten Wänden hindurch an einen Tisch, wo bereits drei geschniegelte Mädchen sitzen. Zack, zack, ruckizucki sitzen wir an der noch freien Ecke, grüßen höflich in die Runde und saugen vorfreudig den Pizzaduft aus der Luft ein. Unsere Aktion ist dabei unsinnig, denn wir haben eine Einladung zu einer Kreuzberger Geburtstagsparty erhalten, wo es auch ein Büfett geben soll.

Unsere Tischnachbarinnen tragen ordentlich zurückgebundene Haare und haben gebügelte Kragen. Die Frau neben mir zieht sich plötzlich einen Stiefel aus und reicht ihn ihren Freundinnen zur Ansicht über den Tisch. Der Stiefel ist schwarz, hat eine kräftige Sohle und sieht überhaupt ziemlich klasse aus. Wir staunen. „Alle Achtung!“, ruft ihr mein Mitförderer zu. „Ja, echte Doc Martens!“, schreit die Besitzerin zurück. Der Lärm ist ohrenbetäubend, die Gäste werden in ihren Versuchen, sich zu unterhalten, noch von dem Personal übertönt, das sich quer durch die Pizzeria Anweisungen zuruft, so als befände es sich auf einem großen Spielfeld.

Brüllend tauschen wir unser Wissen über Doc Martens aus. Eine zarte Blondine mit V-Pulli und Perlenkette fachsimpelt über Stahlkappen, Blasen an den Füßen und bewährte Maßnahmen dagegen. Selbst auf den zweiten Blick hätte ich sie nicht unbedingt für eine Autorität in diesen Fragen gehalten. Aber hier weht eben der Geist des Punkrock, alles ist möglich, sogar ein Handyklingeltonvergleich, den wir noch schaffen, bevor die Pizza kommt.

Die Party in Kreuzberg ist schon fortgeschritten, als wir ankommen, und auch hier müssen wir zur gegenseitigen Verständigung laut brüllen. Diesmal liegt es am Discosound der Siebzigerjahre. Ein Pärchen vollführt dazu ausschweifende Balztänze, obwohl es doch schon ein Pärchen ist. Mit zusammengekniffenen Augen und vorgerecktem Hals versuche ich einem Gespräch zwischen zwei Freunden zu folgen, erhasche aber nur kleine Fetzen. „Ja, kann ich dir geben“, sagt einer. „Was kannst du ihm geben?“ – „Office“, sagen die beiden und vertiefen sich wieder ins Gespräch. „Ja, das fehlt“, höre ich einen sagen. „Was fehlt?“, frage ich nach. „Gras“, sagen sie laut.

Mir wird der Lückentext zu blöd, und ich geselle mich zu einem Grüppchen, das sich in eine geschützte Sofanische zurückgezogen hat. Hier wird der Kummer einer Frau diskutiert, die sich in einen Kellner verliebt hat. „Immer, wenn ich ihn anlächle, denkt er, ich will was bestellen“, jammert sie. Im übertragenen Sinne ist das ja auch richtig. „Kinder, lasst die Finger von Tresenkräften, die haben eine viel zu große Auswahl“, mahnt ein weiser Mann, aber die Frau will nicht hören. Die Unvernunft bahnt sich eben wie Wasser ihren Weg.

KATHARINA HEIN