Interview Wolfgang Thierse: "Viele Massenmedien sehen nur ihr Geschäft"

SPD-Politiker Wolfgang Thierse sieht die Bundesrepublik trotz Demokratie-Müdigkeit nicht in Gefahr und gibt den Medien die Schuld an einem verzerrten Bild von Politik.

Wolfgang Thierse: "Die Medien prägen meist das Bild des bürgerfernen Politikers." Bild: ap

taz: Herr Thierse, leistet die Politik heute noch gute Arbeit?

Wolfgang Thierse: Eine schlechtere Politik als früher kann ich beim besten Willen nicht erkennen; auch die Verantwortlichen halte ich für kompetent. Allerdings haben wir neue, vielschichtige Probleme, auf die der Nationalstaat alleine nicht mehr ausreichend reagieren kann. Wir haben einen Zustand der Unübersichtlichkeit in der Welt, aber wir sind dabei, eine neue Ordnung zu schaffen.

Würden Sie diese Argumentation auch auf die neueste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung anwenden? Ein Drittel der Befragten vertrat die Ansicht, Demokratie könne die Probleme nicht lösen. Gelten für die Osten die gleichen Zahlen?

Da sind sie noch verheerender. Natürlich leben wir in einer Welt dramatischer Veränderungen: Globalisierung, demographischer Wandel, der schwierige Umbau des Sozialstaates, um nur einige zu nennen. Diese Problemfülle erzeugt bei den Menschen tiefe Verunsicherung. Doch leider hat die Politik keine einfachen Lösungen parat. Politik ist eine Sphäre des Mühsales, grau, hässlich und langsam. Doch ich lobe die Demokratie für ihre Langsamkeit.

Das müssen Sie erklären.

Nur die Langsamkeit garantiert die Beteiligung vieler Personen und Gruppen mit unterschiedlichen Meinungen und Interessen, ein Grundelement jeder ordentlichen Demokratie .

Doch der Eindruck bleibt: Politik und Bürger entfernen sich voneinander.

Wissen Sie, als normaler Politiker stelle ich mich natürlich der Kritik des Bürgers. Ansonsten würde ich meinen Job schlecht machen, wäre faul - das möchte ich den meisten meiner Kollegen nicht unterstellen. Allerdings sind wir auf mediale Berichterstattung, vermittelnde Journalisten angewiesen und da liegt der Hund begraben.

Geben Sie also den Medien die Schuld an der Misere?

Auf keinen Fall kollektiv. Doch viele Massenmedien sehen nur ihr Geschäft. Ich beobachte seit Jahren einen Trend zur Personalisierung, zur Skandalisierung, zur Hysterisierung. Es herrscht ein Kammerton der Häme und der Ungeduld. Außerdem ist das Meinungsspektrum in Deutschland nicht groß genug, journalistisches Rudelverhalten nimmt zu.

Doch gerade in Berlin herrscht ein konstruktiver Wettbewerb, insbesondere im Sektor der Tageszeitungen.

Kaum ein Journalist hat noch genug Zeit, ausführlich zu recherchieren. Alles verkommt zu einem Gehetze und Hauptsache, es wird draufgehauen.

Aber nicht selten geben auch Politiker Infos an die Presse weiter, um so Interessen durchzusetzen.

Auch das ist vehement zu kritisieren. Es ist fatal, wenn Politiker meinen Politik zu machen, indem sie Journalisten etwas stecken und Journalisten versuchen, Politiker zu machen. Notwendig ist mehr Distanz und objektive, faire Berichterstattung, statt Meinungsmache!

Trotzdem stehen die Statistiken weiterhin im Raum und diese sind keine Erfindung der Medien.

Das ist mir durchaus bewusst. Aber was folgt aus einem Journalismus nach dem Motto: Nur schlechte Nachrichten verkaufen sich gut. Der Großteil meiner Kollegen arbeiten 60 bis 70 Stunden die Woche, besuchen Veranstaltungen und sprechen immer wieder mit den Bürgern. Leider erreichen wir hiermit lediglich ein bis zwei Prozent unserer Wähler direkt. Beim Rest sind wir wieder auf die Medien angewiesen. Doch diese prägen meist das Bild des bürgerfernen Politikers.

Das auch zum Teil Zuspruch aus der Wissenschaft erhält. Von Arnim spricht von einer neuen Souveränität der politischen Klasse, welche die Volkssouveränität aufhebt.

Dabei ist er selbst ein Teil der beschimpften politischen Klasse.

Also sehen Sie unsere Demokratie nicht in Gefahr?

Ich sehe durchaus beunruhigende Tendenzen. Bislang war die Demokratie, insbesondere im Westen, eine Erfolgsgeschichte, verbunden mit persönlichem Aufstieg und Wohlstand. Jetzt erscheint die Zukunft ungewiss, die Unzufriedenheit an der Basis wächst und auch die Wirtschaftseliten wenden sich teilweise ab. Es kann alles schief gehen und dann stehen die Populisten links und rechts bereit. Doch ich weiß, dass die Mehrheit der Deutschen trotz aktueller Unzufriedenheit, tiefe demokratische Grundeinstellungen besitzt. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich: Diktaturen funktionieren nicht, Demokratien dagegen schon.

Gilt das auch für Ostdeutschland?

Die Menschen hier sind verunsicherter, wurden enttäuscht. Sie haben einfach noch nicht soviel Hornhaut bilden können. Soziale Gerechtigkeit ist und bleibt eines der wichtigsten Ziele von Politik. Am wichtigsten bleibt jedoch: Demokratie als das politische Regelwerk der Freiheit. Dafür muss man einstehen, auch und gerade in schwierigen Zeiten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.