Diktaturen als Marke: Ronald McDonald des Totalitarismus

Totalitäre Staaten lebten vor allem von der Schöpfung und Verbreitung prägnanter Symbole, behauptet Designhistoriker Steven Heller in seinem Buch "Iron Fists".

Der Traum eines jeden Marketingmanagers: Ein universal erkennbares Logo. Bild: dpa

Wie verkauft man einem Volk eine totalitäre und menschenverachtende Diktatur? Nicht anders, als man ein Markenprodukt verkauft. Man nimmt ein starkes Logo: ein Hakenkreuz, ein römisches Beil, einen roten Stern. Man schafft eine Personifizierung der Marke, gibt dem Regime ein Gesicht: Den Duce, den Führer, den großen Vorsitzenden - eine Art Ronald McDonald des Totalitarismus. Anhand dessen auffälligster Wiedererkennungsmerkmale erschafft man eine omnipräsente Ikone: Ein merkwürdiges Bärtchen, ein kahler Schädel oder ein buddhaartiges Lächeln bieten sich an. Man sorgt für eine enorme Verbreitung dieser Symbole und schützt sie durch strengste Gesetze.

Es ist ein gewagter Ansatz, den der Designhistoriker Steven Heller für sein gerade bei Phaidon erschienenes Buch "Iron fists. Branding the 20th century totalitarian states" wählt. Doch er überzeugt. Heller, der 33 Jahre lang Senior-Artdirector der New York Times war, ist der Autor, Koautor und Herausgeber einer stupenden Anzahl von Designbüchern. Er weiß also, was er tut, wenn er in seinem Buch detailliert aufzeigt, wie Diktaturen das benutzten, was Firmen heute ein "Corporate Design" nennen: Einen einheitlichen visuellen Auftritt, mit dem Ziel, maximale Markentreue zu erreichen. Die Mittel dafür heißen Manipulation und Propaganda. Ihr Erfolg ist messbar, nicht in Verkaufszahlen, aber in Stimmen. Auf 200 üppig bebilderten Seiten zeigt Heller vier verblüffende Exempel einer genialen Markenstrategie. Es sind die vier destruktivsten Regime des 20. Jahrhunderts: Nazideutschland, das faschistische Italien sowie die kommunistischen Regime in der UdSSR und in China. Zwei verfeindete Systeme, vereint in ihrer Vorliebe für Monumentales und heroischen Realismus.

Man muss die visuelle Sprache dieser Regimes betrachten, um eine historische Katastrophe zu verstehen, die ohne erfolgreiche Kommunikation nicht denkbar ist. Wer sich als Leser auf diese Perspektive einlässt, erkennt fasziniert und entsetzt, wie Hitler, der einmal Maler werden wollte, zum Chefdesigner seines Regimes wurde: eines Gesamtkunstwerks von unvergleichlicher Brutalität und Effektivität. Hitler bewunderte Peter Behrens, den Vater des Konzepts der modernen Corporate Identity. Systematisch und minutiös bis in die Details schreibt das "Organisationshandbuch der NSDAP", einer der verblüffendsten Funde, die Heller machte, die gesamte Designstrategie der Nazis vor: Uniformen, Symbole, Flaggen, Waffen, Gürtel, Abzeichen.

Hitler selbst wählte mit Unterstützung seines Chefdesigners Robert Ley und seines Hausfotografen Heinrich Hoffmann die Farben, Symbole, Posen, Designs seines Reichs - und ein uraltes mythisches Symbol als Logo: die Swastika, die in nur zwölf Jahren für immer zum Symbol für Staatskriminalität und Hass wurde.

Auch Mussolini stieg vom Redakteur und Artdirector der von ihm gegründeten radikalen Zeitung Il Popolo dItalia zum Chefdesigner des von ihm erschaffenen Faschismus auf. Er wählte dafür eine krude, aber faszinierend effektive Bildsprache, die an das antike Rom erinnernde Elemente und die avantgardistische Symbolik des Futurismus vereint.

Als Mussolini sich 1925 zum Diktator ausrief, wurden alle nationalen Symbole gegen die neuen faschistischen Embleme ausgetauscht, der Kalender wurde geändert, das Händeschütteln durch den römischen Salut ersetzt. Botschaften wurden wie Werbejingles so oft wiederholt, bis sie ins Unterbewusstsein der Massen eindrangen: "Mussolini hat immer Recht", "Stillstand ist Tod" oder "Glaube, gehorche, kämpfe!". Die Faszes, das Rutenbündel mit Beil, Symbol des Faschismus, wurde zu kommerziellen Zwecken auf Verpackungen, Anzeigen und in der Produktwerbung benutzt - etwas, was in Deutschland bei Strafe untersagt war. Dennoch hatte die Kampagne großen Einfluss auf Hitler.

Die Marxisten vertraten die Ansicht, dass Symbole dazu da sind, die Bevölkerung zu unterwerfen, da sie das wirkliche Verstehen unterwandern und das Ideal über das Reale erheben. Als die Bolschewiken an die Macht kamen, lehnten sie die Idee von Staatssymbolen daher zunächst als autoritär und aristokratisch ab. Die revolutionären Flaggen waren also einfach blutrot, eine Farbe, die seit dem 15. Jahrhundert für Revolution steht. Doch schon bei der Gründung der Sowjetunion 1923 wurde die Flagge geändert, sie zeigt seither die Symbole des Kommunismus und des Proletariats: den fünfzackigen Stern, Hammer und Sichel. Als Stalin die Macht ergriff, stilisierte er sich, anders als Hitler, Mussolini und Mao, nicht zum Künstler. Stattdessen erschuf er den Lenin-Kult. Durch Fotomontagen erweckte er den Eindruck, dass er und Lenin politisch Gleichgesinnte gewesen wären. Lenin trug zivile Kleidung statt Uniform und saß fast nie Porträt. Stalin dagegen erschuf einen Bilderkult, der ihn zum omnipräsenten Big Brother machte: Sein Porträt - mit stechendem Blick und monumental über allem stehend - hing in jedem offiziellen Raum.

Auch Mao schuf einen absurden Kult um seine Person, dessen Mythos auf seiner Zeit als Revolutionär beruhte. Er ließ den Markt mit Symbolen und Ikonen fluten: Mao-Pins, -Armbinden, -Poster trugen die Revolution in den Alltag hinein. Die wohl merkwürdigsten Beispiele dieses Kults sind zahllose kitschige Porzellanfigürchen von Soldaten, Angehörigen der Partei und Helden der Arbeit in revolutionären Posen, die die Kulturrevolution bis hinein in die Wohnungen der Menschen trugen.

"Iron Fists" ist ein Buch, das nicht nur mit seiner Materialfülle erschlägt: Das Material selbst erschlägt. Doch es öffnet einem auch die Augen darüber, was "branding" vermochte und noch heute vermag.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.