Kabarettist Steffen Möller erobert Polen: Von Beruf Deutscher

Steffen Möller hat den Deutschen in Polen ein liebenswertes Gesicht gegeben. Und mit seinem Buch "Viva Polonia" einen Bestseller gelandet. Wie macht er das?

Klar kann er Polnisch: "W Szczebrzeszynie chrzaszcz brzmi w trzcinie" Bild: steffenmöller.de

Das Gedränge vor der Saaltür im Kulturhaus Mitte ist enorm. Immer enger und heißer wird es. Im Stimmengewirr hört man neben den deutschen Satzfetzen auch polnische. Alle sind aufgeregt. Selbst das Personal wirkt überfordert, 120 Plätze in dem Saal reichen nicht. Die Mitarbeiter bringen Klappstühle, wer Pech hat, hockt auf dem Fußboden. Sogar ein paar Mitarbeiter der polnischen Botschaft sitzen da, zuvor haben sie erfolgreich die Stühle für den Botschafter und seine Familie verteidigt.

Geboren: 22. Januar 1969 in Wuppertal Karriere: Studium der Theologie und Philosophie in Berlin. Nach seinem Abschluss ging er 1994 zunächst als Deutschlehrer nach Polen. Später arbeitete er als Dozent für Deutsch an der Warschauer Universität. Durchbruch in Polen: 2002 erreichte er in Krakau beim nationalen Kabarettwettbewerb "Paka" den zweiten Platz - der Beginn seiner Karriere als Schauspieler und Kabarettist. Auszeichnung: Bundesverdienstkreuz im Jahr 2005 für seine Verdienste um das deutsch-polnische Verhältnis Bücher: "Polska da sie lubic ("Polen lässt sich mögen", 2006)

"Viva Polonia - Als deutscher Gastarbeiter in Polen" (2008) Auftritte: Möller tourt zur Zeit durch Deutschland, heute Abend tritt er in Löhne auf, am 8. Mai dann in Hamburg.

Dann tritt er auf, helle Hose, gestreiftes Hemd, legere Jacke, eine Durchschnittserscheinung. Er springt auf die Bühne, nimmt das Mikro in eine Hand, sein Buch in die andere. "Dzien dobry, Guten Tag", grüßt er. Das Publikum ist aus dem Häuschen. Steffen Möller heißt der Mann, das Buch in seiner Hand "Viva Polonia. Als deutscher Gastarbeiter in Polen". Und der Titel ist Programm.

Seit 15 Jahren gibt der 39-jährige Möller den Deutschen in Warschau - und ist trotzdem ein Star. Er spielt in der Seifenoper "L wie Liebe", glänzt in der TV-Show "Europa lässt sich mögen", wirbt mit seinem Gesicht in der Presse. Eine Karriere wie aus einem amerikanischen Traum. Als er 1993 nach Polen kam, sprach er kein Wort Polnisch. "Außer Ja und Notbremsen", erinnert er sich in seinem Buch mit etwas Selbstironie. Nun ist er ein Star im polnischen Showbusiness. Und ein Botschafter seines Landes.

Mit Steffen Möller hat Deutschland in Polen plötzlich zwei Gesichter. Das eine ist das böse von Erika Steinbach, der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen. Das andere ist das freundliche eines deutschen Kartoffelbauern, den Steffen Möller in der polnischen TV-Serie spielt.

An einem Sonntagnachmittag in einem Berliner Café ist Möller dagegen kein Star. Mit seiner braven Frisur und den Jeans sieht er aus wie ein sympathischer Junge aus der Nachbarschaft. Ein Kellner lächelt freundlich, als Möller Schokolade bestellt. Er erkennt ihn, allerdings nur als Stammgast. Niemand begrüßt ihn, niemand bittet um ein Autogramm. "Hier gibt es keine Polen", sagt Möller und lacht.

Die Frage nach dem Geheimnis seines Erfolgs kann Möller noch immer nicht richtig beantworten. "Ich weiß es nicht", sagt er. "Na ja, mowie po polsku" - "ich spreche Polnisch." Im Gespräch wechselt er zwischen den Sprachen, besonders gern, wenn ihm schwierige polnische Worte einfallen. Zu einem Interview gehört immer ein Zungenbrecher. "W Szczebrzeszynie chrzaszcz brzmi w trzcinie" (In Szczebrzeszyn zirpt ein Käfer im Schilf). Den Polen gefällt es, dass ein Ausländer Interesse an ihrer Sprache hat. Doch das allein reicht nicht, das ist ihm klar. Etwas Schlagsahne aus der Tasse bleibt an seinen Lippen hängen. Wie er sie wegleckt, hat etwas Knabenhaftes an sich. Das wirkt. Er ist ein Liebling der polnischen Frauen, war einmal in einem Interview zu lesen. "Inkorrekt", sagt Möller. "Ich habe damals gesagt - Liebling der polnischen Frauen über 70." So sieht er es heute noch. "Ich bin so hilflos, süß, knuffig", sagt er, "ein ganz anderer Deutscher. Man muss mich mögen".

Selbstverständlich, wie Möller weiß, half ihm in Polen das negative Klischee seiner Landsleute. "Entweder Krzyzak, also Ordensritter, oder Nazi. Ein bisschen dumm, ohne Sinn für Humor, brutal, arrogant und mit einem harten Akzent."

Dazu kommt das Fußballklischee: Dass die deutsche Fußballmannschaft immer gegen die Polen gewinnt. Keine gute Voraussetzungen für eine freundschaftliche Beziehung. Doch mit seiner Filmrolle als Pechvogel kehrt Möller das Klischee um - und gewinnt Sympathien. Für sich und, so hofft er, auch für seine Landsleute. "Es ist mir gelungen, aus einem Ekelpaket einen Schwiegersohn zu machen - eine Kehrtwende um 180 Grad."

Damit hat er für Deutschland in Polen mehr bewirkt als alle Diplomaten und Politiker zusammen. Nicht Möller behauptet das, sondern die Polen selbst. Und auch Bundespräsident Horst Köhler, als er ihm das Bundesverdienstkreuz verlieh. Die Deutschen sind auch Menschen, heißt es jetzt, und Deutschland ist mehr als Preußen und Berlin. Das ist schon mehr, als man in der Schule lernt.

"Ich erzähle viel über meinen Heimatort, damit die Leute sehen, Deutschland hat auch ein sympathisches Städtchen namens Wuppertal", erzählt Möller. "Jetzt schreiben mir viele Polen: Lieber Herr Möller, wir waren in Wuppertal und suchten in der ganzen Stadt das Brot, von dem Sie immer im Fernsehen schwärmen. Wir haben es nicht gefunden. Wo ist es? Wahrscheinlich nur ein Fantasieprodukt."

Deutsches Brot, Fleischwurst und Strandkörbe - das fehlt Möller in Polen am meisten. Ansonsten, sagt er, fühlt er sich an der Weichsel schon wie zu Hause. Als er sich entschied, sein Glück in Polen zu versuchen, hatte er eine Sicherheit. "Ich wusste, falls es schlecht geht, kann ich schnell in einen Zug einsteigen und bald zurück zu Hause sein." Doch er blieb. In 14 Jahren dachte er nicht einmal ans Zurückkehren. "Ich lebe in zwei Ländern. Bin also Bigamist, wenn man so will." Und keine von beiden Geliebten will er verlassen. "Berlin-Warschau ist genauso weit wie Berlin-Köln".

Selten überlegt er, was aus ihm geworden wäre, wenn er in Deutschland geblieben wäre. "Vielleicht ein langweiliger Berliner, der gerade an seiner Habilitation arbeitet." Denn trotz seiner Liebe zum Kabarett lief es in Berlin irgendwie nicht rund. Ihm fehlten die Themen. "Die kamen erst in Polen", räumt Möller ein. Er nutzt die gegenseitigen Stereotype, spielt mit ihnen, lacht sowohl die Polen als auch die Deutschen aus. Zum Beispiel so: Seitdem er in Polen sei, werde er gastfreundlicher und verlange von seinen Gästen kein Entgelt mehr für Tee. So steht es im Programm. Die Zuschauer lachen.

Fürchtet er nicht, dass einige seine Witze ernst nehmen? "Vielleicht gibt es Menschen, die es ernst nehmen, aber sie spüren zumindest, dass es ironisch ist, was ich über mein eigenes Land sage." Davon ist er überzeugt. "Die meisten Polen sind überrascht, weil sie glauben, die Deutschen hätten keinen Sinn für Ironie, loben ihr Land über alles und machen in Polen alles schlecht. Wenn die Polen jetzt sehen, dass die Deutschen genauso ironisch sind wie sie selbst, ist alles gut." Sogar wenn sie denken, dass man in Deutschland für den Tee der Gastgeber bezahlen muss. "Das ist immer noch besser, als wenn sie denken, dass wir Deutschen unsere Schwächen nicht kennen."

Seine Beobachtungen als Grenzgänger zwischen den Stereotypen hat Möller in seinem Buch zusammengepackt. Zunächst nur in einer polnischen Version. Mit großem Erfolg. An eine deutsche Übersetzung dachte er zunächst nicht. "Die Auflage würde sich im Dissertationsbereich bewegen", hat er einmal gesagt. Doch dann überhäuften ihn Polinnen mit Mails, die mit Deutschen verheiratet sind. Sie sagten, ihre Männer müssten auch was über Polen lernen.

Zwei Monate nachdem das Buch jetzt auch in Deutschland erschienen ist, sind schon 80.000 Exemplare verkauft. "Viva Polonia" landete sogar auf Platz zwei der Spiegel-Bestsellerliste. Den Erfolg erklärt der Verlag mit der Persönlichkeit und Popularität des Autors, weniger mit einem Interesse an Polen. "Wir glauben sehr an den Autor und haben schon das nächste Buchprojekt unter Vertrag." Vermuten kann man schon: wieder etwas über Deutsche und Polen. Denn inzwischen ist Möller eine Marke für sich.

"Ich bin von Beruf Deutscher, ob als Kabarettist, Schauspieler, Philosoph, Klavierspieler - ich bleibe immer von Beruf Deutscher. In Deutschland bin ich von Beruf Polenkenner. Keine andere Sache kann ich so gut."

Die Zuschauer im Kulturhaus Mitte glauben auch an Möller. Und beide, Deutsche wie Polen, teilen offensichtlich denselben Sinn für Humor, wenn sie über Möllers Witze lachen. Nur manchmal, wenn ein Witz übersetzt werden muss, kommt der eine Lacher früher, der andere später. Ein Beweis dafür, "dass Deutsche und Polen sich ähnlicher sind, als man glaubt", sagt Möller.

"Wir senden auf ähnlichen Wellen", meint auch ein älterer Herr, der sich in die zweite Reihe gesetzt hat. Etwas näher, damit er gut hören kann. Das Buch habe er schon gelesen, nachdem er Möller in einer Sendung sah. Nein, einen Bezug zu Polen habe er nicht, auch war er noch nicht dort. Aber das kann ja noch werden, raunt er. "Wenn es dort so lustig ist, wie in diesem Buch geschrieben wird." Als Fan von Möller bezeichnet sich auch der polnische Botschafter. Mit seiner Frau und seinen Töchtern lachte er Tränen. "Die Leute, die nichts über Polen wissen und wissen wollen, bringt das Buch dem Land nicht näher", sagt er. "Aber für diejenigen, die etwas Interesse haben, kann die Ironie und Komik hinreißend sein."

Als der Botschafter aus dem Saal herauskommt, drängen sich die Menschen wieder auf den Treppen. In der Hand halten einige das Buch, in der anderen eine Kamera. Ein Autogramm wollen sie, von Möller, dem humoristischen Botschafter. Der andere Botschafter geht an ihnen vorbei. Unerkannt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.