Filmzeitschrift "steadycam": Völlig unberechenbar

Die aktuelle "steadycam" feiert den Filmregisseur Robert Altman. Und das 25-jährige Bestehen der Zeitschrift selbst - ein Magazin der Herzensangelegenheiten.

Auch Robert Altmann tat das, was er liebte. Hier: 1974 Bild: reuters

Zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum das fünfzigste Heft, es hat 354 Seiten, mehr als tausend Bilder und kostet stolze 26 Euro. Das sind die Zahlen, mit denen die aktuelle Ausgabe der Filmzeitschrift steadycam beeindruckt. Aber in Wahrheit geht es darum überhaupt nicht. Worum es geht, ist vielmehr die Leidenschaft, mit der Herausgeber Milan Pavlovic und seine MitstreiterInnen wider alle ökonomische Vernunft ihren Traum eines Filmmagazins seit Jahr und Tag Wirklichkeit werden lassen.

Durch nichts von alledem, was anderen Periodika Regeln gibt und Grenzen setzt, lässt sich die steadycam irritieren. Völlig unberechenbar sind zum Beispiel die Erscheinungstermine. So war das aktuelle Heft ursprünglich einmal für Oktober 2006 angekündigt. Über alle kurzatmigen Aktualitäten sind die Macher naturgemäß erhaben, aber "Death Proof", den gerade bei uns angelaufenen neuen Tarantino, gleich vorne im Heft enthusiastisch zu besprechen, ist dennoch drin. Überhaupt ist Tarantino als einer, der das Kino liebt - auch und gerade da, wo es schmutzig und lustig ist, wo mit ihm kein Staat zu machen, kein Fördergeld zu gewinnen und kein anderer Zweck als der Lustgewinn zu verbinden ist -, der ideale Gegenstand für die steadycam, der es vor allem um das geht, was sie liebt. Sie ist, in jeder Hinsicht, a labor of love.

Ganz leicht tun sich die AutorInnen deshalb auch nicht mit dem Titelthema und der Titelfigur der Jubiläumsausgabe, dem in diesem Jahr verstorbenen Regisseur Robert Altman, dessen Werk die Redaktion in teils deutschen, teils englischen Texten und seitenlangen Bildstrecken eindrucksvoll Revue passieren lässt. In einem Gespräch gehen FAZ-Kritiker Michael Althen, der Filmemacher Tom Tykwer und der Kameramann Frank Griebe detailliert auf Altmans Meisterwerk "Short Cuts" ein. Hier wie auch sonst ist die Tendenz zu beobachten, im großen kühlen Analytiker Altman posthum doch noch einen Freund des Menschengeschlechts zu erkennen - und seinen letzten Film, den arg harmlosen "Robert Altmans Last Radio Show", zu feiern, während seine virtuos oberflächliche Abfertigung alles Oberflächlichen in "Prêt-à-Porter" keine Gnade findet.

Überhaupt macht die Liebe zum Genre- und Bauchkino alle Beteiligten manchmal blind für die Formen des Films, die Kunst wollen und eher den Intellekt ansprechen. Aber was solls, man muss ja nicht jede Vorliebe - und Abneigung - der in München konzentrierten steadycam-AutorInnen teilen. Zumal niemand einen Hehl daraus macht, dass es in erster Linie um leidenschaftlich vertretene subjektive Ansichten geht. Das wird nirgends deutlicher als beim eigentlichen Herzstück der Zeitschrift, dem "Tagebuch des Kritikers", das diesmal vom Herausgeber stammt.

So vernehmlich wie im Jubiläumsheft hat Pavlovics Herz noch nie geschlagen, denn vom ersten Eintrag im April 2006 bis zum letzten im Juni 2007 vergeht mehr als ein Jahr. Auf über hundert Seiten berichtet der Tagebuchschreiber von Eindrücken vom Lieblingsfestival in Cannes, von einem Langstreckenflug nach Melbourne, von unzähligen Filmen, aber auch ausführlich - er verdient sein Geld als Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung - von Wimbledon und Andre Agassis letztem Match. Außerdem schimpft er immer mal wieder über Kritikerkollegen, sieht fern oder schreibt über die sich hinziehende Arbeit an der neuen steadycam-Ausgabe. Abwechselnd ärgert und freut man sich bei der Lektüre, doch es überwiegt die Lust, sich einmal der Willkür einer von keinen Rücksichten auf journalistische Anlässe oder Vorschriften getrübten Subjektivität zu überlassen.

Als Gegenstück zur radikal vereinzelten Stimme gibt es diesmal aber noch ein Heft im Heft, das die Ergebnisse einer Umfrage unter FilmkritikerInnen präsentiert. Gefragt wurde nach dreißig Lieblingsfilmen, herausgekommen ist eine alphabetisch sortierte, nüchterne Liste von A wie "À bout de souffle" bis Z wie "Zweite Heimat, Die", die weder Anspruch auf Vollständigkeit noch, natürlich, auf Objektivität erhebt. Es geht um ein anderes, man könnte sagen, es geht um das steadycam-Prinzip: Jeder der hier genannten Filme wird von mindestens einem Menschen geliebt und ist damit aus der Hölle der Gleichgültigkeit für immer erlöst.

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