Partnerschaft: Stoppt den Urlaubszwang!

Bei vielen Paaren kriselt es in den Ferien, weil sie zu lange miteinander allein sind. Die Rettung: Ein System aus FreundInnen-Telefonaten und Distanzritualen.

Es wirkte wie ein normaler Tag am Strand, aber es war der Anfang vom Ende Bild: ap

Wahrscheinlich wird nur noch beim Thema Sex so viel gelogen wie beim Thema Urlaub. 71 Prozent der Deutschen holten sich in den Ferien einen "Frischekick" für die Partnerschaft, meldete unlängst der Reiseanbieter lastminute.com und berief sich dabei auf eine Umfrage. Passend zur Meldung offerierte das Unternehmen Segeltörns in der Karibik oder einen Inselurlaub für Paare, um die "schönste Zeit des Jahres" zu zweit noch romantischer zu gestalten. In Wirklichkeit ist das Einander-Ausgeliefertsein auf Urlaubsreisen für viele Beziehungen aber ein echter Horrortrip.

"Die Intimität eines gemeinsamen langen Urlaubes entspricht nicht der Struktur vieler Paarbeziehungen", sagt der Berliner Paarberater Christoph Uhl. Im Alltag funktionieren viele Beziehungen nämlich ganz gut, auch wenn Langzeitpaare im Schnitt angeblich täglich nur zehn Minuten miteinander reden. Im Urlaub jedoch, wenn es die Paare, vielleicht auch noch mit Kindern, Tag für Tag gemeinsam am Strand miteinander aushalten müssen, fällt die Beziehungsarchitektur oft wie eine Sandburg in sich zusammen.

Bei Anwälten für Familienrecht suchten Männer und Frauen daher nach dem Sommerurlaub oder auch zur Weihnachtzeit "verstärkt Trennungsberatung", hat der Männerforscher und Buchautor Thomas Gesterkamp festgestellt. Oft wird die Behauptung kolportiert, dass jede dritte oder gar jede zweite Scheidung nach einer gemeinsamen Reise eingereicht wird, empirisch abgesicherte Daten dazu gibt es jedoch nicht.

Der Krisenkatalysator

Es sei "letztlich nicht der gemeinsame Urlaub, sondern die Qualität der Beziehung", die über Stress oder Entspannung beim Reisen entscheide, meint die Tübinger Paartherapeutin Corry Stronk-Buncsak. Bei vielen Paaren, "die schon eine zerrüttete Beziehung haben, werden die Differenzen im Urlaub richtig groß". Diese These wird von vielen Paarberatern geteilt. Man kann es aber auch andersherum sehen: Die allgemein herrschende Urlaubsideologie, dass "endlich Zeit füreinander zu haben" jetzt auch ein Garant sein muss für gemeinsames Glück, macht Paare unglücklich.

Sie glauben, dass mit ihrer Liebe etwas nicht stimmt, nur weil sie am dritten Abend im Ferienhotel lieber ein Buch auf dem Zimmer lesen, als sich immer noch bis nach Mitternacht stundenlang im Restaurant miteinander unterhalten zu müssen. "Die Erwartungen an Nähe sind nicht selten zu groß", meint Uhl. Dabei sind Distanzrituale gerade auch im Urlaub wichtig

"Mein Mann hat geradezu Angst vor dem gemeinsamen Familienurlaub", erzählt eine Berliner Graphikerin, die regelmäßig mit Mann und Kindern in ein Ferienhaus nach Italien verreist. Drei Wochen ohne den seelischen Halt der Arbeitssituation, vielleicht auch noch ohne Laptop und Internetanschluss zu sein, das stürzt viele Ehemänner und Familienväter in große Unsicherheit. "Wenn wir in der Toskana angekommen sind, geht er gleich ins Internet-Cafe, um sich wieder innerlich zu vernetzen", erzählt die Graphikerin. Von Entspannung kann erstmal keine Rede sein.

Obwohl die Beziehung im Alltag zuhause eigentlich gut funktioniere, weil man vieles miteinander teile, auch ohne große Worte, stürze sie der Urlaub immer in Selbstzweifel, erzählt die Graphikerin, die ihren Namen nicht gedruckt sehen will. "Plötzlich denke ich: wir haben uns ja gar nicht soviel zu sagen. Dabei mögen wir uns doch, unsere Beziehung beruht eben nun mal nicht auf stundenlangen Plaudereien".

Die Klaustrophobie

SMS-Botschaften an FreundInnen schicken, Kartenschreiben, ein eigenes Sportprogramm und ein spannender Roman sind die üblichen Fluchtmöglichkeiten vor der verordneten Gemeinsamkeit auf Reisen. Ein Horror wären für solch sensible Seelen die von der Wellness-Hotellerie gerne beworbenen "Romantik-Wochenenden" zu zweit, wo im Hotelzimmer der gekühlte Sekt wartet und die Leihgebühr für die beiden Saunabademäntel bereits im Pauschalpreis inbegriffen ist. Die üblichen Werbefotos in Reiseprospekten, auf denen sich gebräunte Paare in sterilen Hotelzimmern oder Restaurants zuprosten, tun schon genug, um die Panik vor der Urlaubsenge zu schüren.

Der Stress zu großer Nähe im Hotelzimmer trifft ohnehin auf eine recht labile Seele: Eine Reise bedeutet eben immer auch Trennung von Vertrautem zuhause und meist einen anstrengenden Klimawechsel. Psychotherapeuten berichten, dass sie daher regelmäßig zu Sommerbeginn auch die "Urlaubsangst" ihrer sensiblen Patienten bearbeiten müssen.

Die berühmten 15 Minuten

In vielen anderen Kulturen gibt es das Konzept des drei- oder vierwöchigen Urlaubs nicht, es sei denn, für Verwandtenbesuche in der Heimat. Doch hier im Westen gehören die langen Sommerwochen in anonymen Hotelzimmern oder kargen Ferienwohnungen zum Regenerationskonzept.

Dabei ist es ein Mythos, nur im Urlaub "endlich Zeit füreinander zu haben". Wer einmal dem Langzeitpartner 15 Minuten zuhören will, ohne seine Kommentare dazwischen zu werfen oder abzuschweifen, der muss dafür nicht drei Wochen nach Teneriffa fahren.

"Vielleicht sollten Paare einfach auch jenseits der Sommerurlaube mehr Zeitfenster schaffen, um sich miteinander auszutauschen", rät Uhl.

Der Alltag ist nämlich immer die Übungssituation - für die schwierigste Zeit des Jahres, die Ferien.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.