Bildung für Flüchtlinge: Mehr als nur Deutsch lernen

„Neuzuwanderer-Klassen“ sollen Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt vorbereiten. Lamin Jawara träumt davon, Metallbauer zu werden.

Schülerin aus Guinea beim Schweißen

So wie diese Schülerin in Bremen werden bald auch Lamin Jawara und seine Mitschüler lernen, wie man schweißt. Foto: dpa

Der Bär aus Messing glänzt hell. Lamin Jawara stellt ihn mitten auf den Tisch. Er streicht vorsichtig über die glatt polierten Kanten des Berliner Wappentiers und grinst. „Den habe ich gemacht“, sagt er.

Lamin Jawara kommt aus Guinea-Bissaus Hauptstadt Bissau. Er entfloh den Wirren des Militärputsches im April 2012. Truppen des Generals Mamadu Ture und Soldaten der Regierung lieferten sich Straßengefechte in Jawaras Heimatstadt. Seit Mai 2014 lebt der 18-Jährige in Berlin. Genauer: in Kreuzberg, nur zwei Straßen von der Hans-Böckler-Schule entfernt. Dort, an den Werkbänken der Berufsschule, ist sein Messing-Bär entstanden.

Lamin Jawara ist einer von 36 Flüchtlingen, die in drei sogenannten Neuzuwanderer-Klassen Deutsch, Mathe und Englisch lernen. „Neuzuwanderer“ – das sind laut Goethe-Institut alle MigrantInnen, die später als 2004 nach Deutschland gekommen sind. Die Lehrgänge an der Berufsschule dauern ein Jahr und werden seit Anfang dieses Jahres angeboten. Auch praktischer Unterricht in der Metallwerkstatt steht auf dem Stundenplan. Ziel ist es, den Flüchtlingen den Weg zu einem Ausbildungsplatz zu ebnen.

„Die Flüchtlinge können ohnehin nicht acht Stunden am Tag Deutsch lernen“, sagt Schulleiter Thomas Pinnow. So üben sie schon mal, was bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz zählt: Sie schweißen, löten, feilen und polieren Metalle in der Werkstatt.

Jawaras Lieblingsfach ist Deutsch. Heute geht es um Imperative. Jawara rückt sein Arbeitsblatt zurecht, nimmt einen Schluck aus der Energydrink-Dose. Was war nochmal die Befehlsform von „wechseln“? Er schreibt „wechsele“. Frau Podskarbi, seine Lehrerin, kontrolliert gerade die Lösungen seines Sitznachbarn Ssade aus dem Libanon. „Sie müssen schauen, worauf sich das Verb bezieht“, sagt sie. Ssade nickt.

Neben Jawara und Ssade sitzen sechs weitere Flüchtlinge im Klassenzimmer. Maximal zwölf Schüler zählt eine Neuzuwanderer-Klasse. „In Guinea-Bissau hatte ich fast 50 Klassenkameraden“, sagt Jawara und lacht. Schon damals habe er nach der Schule handwerklich gearbeitet. Nach dem Lehrgang in der Neuzuwanderer-Klasse möchte er eine Ausbildung beginnen, am liebsten zum Metallbauer.

„Trotz der Schwierigkeiten mit der Sprache sind die Neuzuwanderer sehr motiviert“, sagt Schulleiter Pinnow. Einige wollten sogar in den Sommerferien zur Schule gehen. Was viele antreibt, ist die Aussicht auf einen Ausbildungsplatz. Der Bedarf ist groß: Vergangenes Jahr blieben in Deutschland etwa 37 000 Lehrstellen unbesetzt.

Viele Betriebe scheuen sich jedoch, Flüchtlinge als Azubis einzustellen. Ein Grund könnte sein: „Wenn ein Flüchtling noch kein Aysl bekommen hat und die Unternehmen ihn einstellen, riskieren sie, dass ihr Azubi abgeschoben wird“, sagt Pinnow. In den einjährigen Neuzuwanderer-Klassen können die Flüchtlinge die Zeit ihres Asylverfahrens sinnvoll überbrücken.

Neue Freunde gefunden

Lamin Jawara fühlt sich an der Hans-Böckler-Schule wohl. Die Kreuzberger Schule hat Erfahrung mit Migranten, in manchen Klassen liegt der Anteil über 80 Prozent. Sie bildet circa 1.000 Jugendliche aus, die meisten davon zum Karosseriemechaniker oder Metallbauer. Dass Jawara hier gelandet ist, war kein Zufall.

„Wir fragen die Menschen nach ihren Neigungen, bevor wir sie an die Berufsschulen vermitteln“, sagt Tatjana Rest von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport. Bedeutet: Wer sich zum Beispiel für Mode interessiert, besucht eine Berufsschule für Mode und Bekleidung. Über 500 minderjährige Flüchtlinge haben Rest und ihre Kollegen so schon an die Schulen gebracht.

Lamin Jawaras Eltern sind tot, er kam allein nach Deutschland. Ein Sozialarbeiter kümmerte sich nach der Registrierung in Berlin um ihn. An der Hans-Böckler-Schule habe er mittlerweile neue Vertrauenspersonen gefunden. Die Lehrer seien nett und geduldig. „Das kenne ich aus meiner Heimat anders“, sagt Jawara.

Sein Asylverfahren läuft noch – seit bald eineinhalb Jahren. Die Chancen, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, sind gering. Vergangenes Jahr lag die Schutzquote bei Asylanträgen aus Guinea-Bissau bei mickrigen 0,8%. Trotzdem hofft Jawara, hier bleiben zu können. „Ich habe einen Rechtsanwalt, der mir mit den Anträgen hilft“, sagt er.

Der heute 18-Jährige war insgesamt zwei Jahre lang auf der Flucht. Die Bilder der Gewalt in seiner Heimat habe er nicht vergessen, erzählt er. Da helfe ihm der geregelte Tagesablauf sehr, in Deutschland Fuß zu fassen: „Ich bin bis halb zwei in der Schule, danach esse ich meist in der Cafeteria.“ Nachmittags spielt Jawara Basketball. Bis vor kurzem trainierte er mehrmals in der Woche. Jetzt ist Jawara nur noch ab und zu auf dem Sportplatz. „Ich will mich voll und ganz auf den Unterricht konzentrieren“, sagt er.

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