Parteitag der Grünen in NRW: Schlechtes Timing

Die NRW-Grünen stehen vor einem schwierigen Spagat: Mitten im Bundestagswahlkampf will die Partei den Absturz bei der Landtagswahl aufarbeiten.

Ein sprechender Mann im Profil

Der Landesvorsitzende auf der Delegiertenkonferenz in Dortmund Foto: dpa

DORTMUND taz | „Das Timing ist nicht optimal“, muss Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion, beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Ökopartei von der Bühne der Dortmunder Westfalenhallen herab zugeben: Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt hat es wegen Problemen am Berliner Flughafen Tegel nicht nach NRW geschafft – und der Bundestagsabgeordnete Volker Beck, wegen der Ehe für alle gefeierter Held der Partei, ist auch noch nicht da.

Also muss Haßelmann, bis 2006 Landesvorsitzende und heute auf Platz eins der NRW-Liste zur Bundestagswahl, ran. Die Bielefelderin versucht alles, die 283 Delegierten nach dem gerade sieben Wochen zurückliegenden Machtverlust im bevölkerungsreichsten Bundesland für den nächsten Wahlkampf zu motivieren: „Nur Sonntagsreden“ habe CDU-Kanzlerin Merkel beim Klimaschutz gehalten. Bei der Verkehrswende, der Elektromobilität habe die große Koalition in Berlin genauso versagt wie in der Agrarpolitik, bei der Bekämpfung von industrieller Landwirtschaft und Massentierhaltung ebenso wie bei der Schaffung eines solidarischen Europas. „Dazu braucht es Grüne“, ruft die 55-Jährige.

Danach will der Parteitag den mittlerweile eingetroffenen Volker Beck mit Standing Ovations feiern – bei der Listenaufstellung im Dezember war der Kölner, dem der Besitz von 0,6 Gramm Crystal Meth vorgeworfen wurde, noch belächelt worden, als er noch einmal für die Bundestagswahl kandidieren wollte.

Doch Beck redet seinen Grünen ins Gewissen: Bei der nach der verlorenen Landtagswahl anstehenden Strategiedebatte sei das allerwichtigste, sich nicht „dem Mainstream“ zu beugen. Seit 1990 habe er zusammen mit Schwulen- und Lesbeninitiativen für die Ehe für alle gekämpft – und genauso müsse die Partei für alle ihre Inhalte kämpfen, fordert Beck und nennt beispielhaft die „Diskriminierung der Roma“ oder eine existenzsichernde Rente für „jüdische Kontingentflüchtlinge“ aus Russland.

Zu viel Konsens?

Denn tatsächlich ist das Timing des NRW-Parteitags suboptimal: Die Grünen stehen vor einem schwierigen Spagat. Läuft der Bundestagswahlkampf in NRW mit seinen 18 Millionen Menschen schlecht, kann die Partei eine Regierungsbeteiligung in Berlin vergessen. Doch gleichzeitig muss die Ökopartei das Wahldebakel bei der Landtagswahl aufarbeiten – von 11,3 sind die Grünen auf 6,4 Prozent abgestürzt.

In Selbstkritik übt sich deshalb der amtierende Landeschef Sven Lehmann, der im September in den Bundestag wechseln will: „Zu sehr auf Konsens gesetzt“ habe die Partei, in der Koalition mit der abgewählten SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sei „zu sehr mit ruhiger Hand regiert“ worden. Trotz „unstrittiger Erfolge“ etwa ihres Umweltministers Johannes Remmel, der gegen den massiven Widerstand der Sozialdemokraten etwa die Verkleinerung des Braunkohletagebaus Garzweiler durchgesetzt hat, seien die Grünen als „Bremser“ wahrgenommen worden.

Nötig sei deshalb eine Neuorientierung: Gerade Abgeordnete müssten neu lernen, ihren WählerInnen „mehr zuzuhören“, fordert Lehmann – und versprach auch weniger Entscheidungen von oben herab und mehr Basisbeteiligung. Nötig sei auch, „mehr klare Kante gegenüber der Industrie“ zu zeigen – und „weniger direkte Eingriffe in die Lebensweise der Menschen“: Problemtisch sei nicht das Autofahren und Fleischkonsum, sondern fehlende konkurrenzfähige Elektroautos und Massentierhaltung, findet der Parteichef.

Dass dies nicht leicht wird, zeigt auch der in Dortmund verabschiedete Haushaltsplan: Weil die Zahl der Landtagsabgeordneten nach der Niederlage von 29 auf 14 geschrumpft ist, fehlen den Grünen pro Jahr allein 200.000 Euro an „Mandatsbeiträgen“, die die Parlamentarier abführen – ohne massive Einsparungen droht dem NRW-Landesverband ein strukturelles Defizit. Parteichef Lehmann gab sich trotzdem optimistisch: „Unsere Wählerinnen und Wähler wollen uns kämpfen sehen“, glaubt er – und die Partei werde liefern.

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