der rote faden
: Von Aachen bis Anatolien – überall wird rückwärts integriert

nächste wochejohanna roth Foto: Sebastian Wagner

durch die woche mit Nina Apin

Soll noch einer sagen, dieser Wahlkampf sei langweilig. Wo doch jeder tut, was er kann. Merkel findet in königinnenhafter Selbstzufriedenheit immerhin „interessant“, wie tapfer sich die SPD weiterhin im Frontalangriff versucht. Übersetzt heißt das wohl: „Putzig, wie dieser bärtige Brüsseler Wadenbeißer versucht, sich als Rächer der Prekären aufzuplustern.“ Finden die Genossen offenbar inzwischen selbst: Sigmar Gabriel hat am Mittwoch im Spiegel-Interview versehentlich tiefe Einblicke in die zunehmend verzweifelte Seelenlage der SPD gegeben. Er sagte, eine neue Große Koalition käme für ihn nicht infrage. Weil Martin Schulz dann „nicht Kanzler werden“ könne. Erster Platz? Ausgeschlossen! Wilder Kampfgeist geht anders.

Wadenbeißer

Wie die AfD Kampfgeist buchstabiert, hat sie in dieser Woche deutlich erkennen lassen. Nachdem Spitzenkandidat Alexander Gauland darüber fantasiert hatte, wie man die Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz (SPD) in Eichsfeld mit deutscher Leitkultur konfrontieren und anschließend „nach Anatolien entsorgen“ könne, gab es viel Empörung – und eine schöne Strafanzeige, erstattet von Ex-Bundesrichter Thomas Fischer. Daraufhin sekundierte Gaulands Doppelspitze Alice Weidel mit unschuldigem Augenaufschlag, sie könne die Aufregung nicht verstehen. In der Sache habe Gauland doch recht – schließlich plane Özoğuz, die deutsche Mehrheitsgesellschaft „rückwärts zu integrieren“.

Rückwärts integrieren – da fällt mir eine schöne Anekdote aus dem Familienurlaub ein: Bildungsbürgerlich entschlossen (Karl der Große!) standen wir mit den Kindern vor dem Aachener Dom und warteten, dass der Gottesdienst drinnen vorbeiging, auf dass wir das Riesending besichtigen könnten. Meine achtjährige Tochter fragte den schwarz gekleideten Herrn am Eingang interessiert, was man denn so mache in einem Dom. Dem Mann, der im Übrigen fast haargenau so aussah wie Wolfgang Bosbach, entgleisten die Gesichtszüge. Mit vor Rechtschaffenheit zitternder Stimme erklärte er: Was man in einem Dom „so mache“, das hätten Kinder ihres Alters eigentlich zu wissen. Das bekäme man ja wohl im Elternhaus vermittelt. Oder wenigstens in der Schule. Daraufhin erklärte der Vater lässig, in unserer Familie bekämen die Kinder halt eher das geschichtlich Kulturelle vermittelt. Und ich versicherte, dass das, was man in einem Dom so mache, auch nicht im Lehrplan der Berliner Schulen stünde.

Kampfgeist

Dem Mann war anzusehen, dass er uns gern den Einlass ins Gotteshaus verweigert hätte, wenn er nur gedurft hätte. Ich jedenfalls finde meine eigene Leistung in Rückwärtsintegration nicht die schlechteste: Während man mich seit frühester Kindheit mit sinnlosen Beichtriten und „Macht man halt so“-Katholizismus indok­triniert hatte, weil das in Oberbayern so dazugehörte wie die Luft zum Atmen und die CSU, muss sich meine Tochter aktiv interessieren, wenn sie jenseits von Geschichte und Kirchenarchitektur mehr über das Innenleben der Kirche wissen will. Die aktive Integrationsbereitschaft der christlich-abendländischen Leitkultur in Aachen lässt jedenfalls zu wünschen übrig.

Schaffott-Fantasien

Aber ich schweife ab, wir waren noch bei der „Wird man ja noch mal sagen dürfen“-Partei. Die hat es bereits geschafft, die Grenzen des Sagbaren so weit zu verschieben, dass im Wahl-O-Mat, der am Mittwoch online ging, die Frage auftaucht, ob Deutschland an der Holocaustgedenkkultur festhalten sollte. Was allerdings nach wie vor nicht geht, nicht einmal in dieser Partei: Frauen von Politikern der Konkurrenz eine Vergewaltigung durch Schimpansen zu wünschen. Über abgeschnittene Finger, Vergewaltigung von Zehnjährigen und einem Schafott für „das ganze rot-grüne Geschmeiß“ zu schwadronieren. Nachdem entsprechende Chatprotokolle des stellvertretenden AfD-Fraktionsvorsitzenden von Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe, öffentlich wurden, gab dieser am Donnerstag via Junge Freiheit seinen Austritt aus Partei und Fraktion bekannt.

CSU-Power

Jeder tut also, was er kann, um diesen Wahlkampf ein bisschen interessanter zu machen. Und was macht Horst Seehofer – außer zu erklären, dass er mit den Grünen nicht kann?

Der CSU-Chef schickt seinen ewigen Liebling, „Doktor“ Karl-Theodor zu Guttenberg, raus, die Festhallen zu erobern. „Was wird KT?“, spekuliert die Bild: Außenminister? Bayerischer Ministerpräsident? Oder sogar Kanzler?! Seehofers Glaube an die CSU-Power scheint unerschütterlich – obwohl seine Fachkräfte für Straßen, Boden und Entwicklung nicht gerade viel gerissen haben. Die SPD kann sich von dieser Chuzpe noch was abschauen.