Stimmen aus Ost-Ghouta: „Wir sind komplett zerstört“

Niemand stoppt den Bombenterror des Assad-Regimes auf die letzte Rebellenenklave der syrischen Hauptstadt. Drei Zivilisten berichten.

Menschen in Trümmern

Saqba, Ost-Ghouta, 20. Februar 2018 Foto: ap

BERLIN taz | Dauernd Bombardierungen und Artilleriebeschuss, kaum Schutz für knapp 400.000 Zivilisten, hunderte Tote innerhalb von wenigen Tagen, darunter viele Kinder: Die Lebenssituation in der Ost-Ghouta, dem umkämpften Damaszener Umland, ist verheerend.

Kampfjets und Helikopter des syrischen Militärs kreisen ununterbrochen über den Dächern und niemand darf die eingekesselte Region verlassen – dabei ist die Ost-Ghouta eigentlich eine von Russland, dem Iran und der Türkei klassifizierte Deeskalationszone, in der nicht gekämpft werden soll.

Schon seit Jahren aber ist die Ost-Ghouta umkämpft, denn der etwa 100 Quadratkilometer große Landstrich am Rande der syrischen Hauptstadt gilt als einer der letzten Rückzugsorte der Rebellen gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad. Nur einen Katzensprung voneinander entfernt liegen Präsidentenpalast und unvorstellbares Leid, Hunger und Zerstörung.

Seit 18. Februar intensiviert das syrische Militär die Offensive derart drastisch, dass UN-Generalsekretär António Guterres von der „Hölle auf Erden“ spricht. Die UNO spricht von 426 Toten in fünf Tagen, darunter 98 Kinder.

Informationen aus dem Kriegsgebiet zu bekommen, ist nicht einfach. WhatsApp und Facebook funktionieren vor Ort, aber schlechte Internetverbindungen lassen Interviews immer wieder platzen.

Nivin Hotary

„Ihr fragt mich nach dem Leben in der Ost-Ghouta?“, Nivin Hotary, 39 und gelernte Sekretärin, schüttelt mit dem Kopf. „Es gibt hier kein Leben.“ Verzweifelt versucht sie ihre sechsjährige Tochter Maya zu beschützen. „Wir verstecken uns im dunklen Keller, schlafen auf dem Boden und wissen nicht, worauf wir warten.“

Ein Kellerfenster

„Durch dieses kleine Kellerfenster sehe ich jetzt das Leben“ Foto: Nivin Hotary

Hotarys Schmerz und Ausweglosigkeit stehen sinnbildlich für all die Stimmen der Menschen in der Ost-Ghouta, die aus Kellerlöchern in die Welt hinausschreien, aber im Bombenhagel untergehen und verstummen. „Durch dieses kleine Kellerfenster sehe ich jetzt das Leben“, beschreibt sie ihre Lage. „Wir sitzen hier unten, lachen, weinen und erinnern uns an schönere Tage, die wir erlebt haben. Dann gucken wir wieder das Fenster an.“

Dann fügt sie hinzu: „Ich dachte, dass mein größtes Problem wäre, mein Kind vor den Bomben zu beschützen, die weder in der Nacht noch am Tag aufhören zu fallen. Aber meine Tochter Maya hat da eine andere Meinung. Sie will ihre Puppen beschützen und nimmt sie mit, wo auch immer sie hingeht. Meine liebe Maya, ich kann dir leider nicht versprechen, dass deine Puppen unversehrt bleiben.“

Mohamad Abo Ahed

Der Arzt Mohamad Abo Ahed muss seinen Interviewtermin mehrmals verschieben – weil er ununterbrochen Verletzte behandelt. Der Chef eines der Gesundheitszentren in Kafar Batna in der Ost-Ghouta will aus Angst vor dem Regime seinen richtigen Namen und den seiner Einrichtung nicht in der Zeitung lesen. Die Lage vor Ort sei fast unbeschreiblich, sagt er: „Jeden Tag werden wir hier Zeuge von Massakern an Zivilisten. Jeden Tag sterben 100 Menschen, viele Kinder.“

In den letzten Tagen hätten Kampfjets gezielt alle zentralen Krankenhäuser und Gesundheitszentren zerstört. „Patienten brauchen Medikamente und Behandlung“, so Abo Ahed, „aber beides gibt es kaum noch.“ Medizinische Geräte und Ausrüstungen seien größtenteils vernichtet, die Intensivstationen würden mit hunderten Verletzten überquellen.

„Bombenopfer kommen mit offenen Bauch- oder Brustwunden oder ernsthaften Gehirnverletzungen zu uns, aber wir können in den Operationssälen kaum etwas machen.“ Er könne das Ganze gar nicht wirklich verarbeiten, sagt der Arzt. „Wir müssen sogar die Beatmungsgeräte von Schwerverletzten entfernen, um sie mal anderen Opfern aufzusetzen.“

Da die Zivilbevölkerung den ganzen Tag in kalt-feuchten Kellern zusammenkauere und es kein sauberes Wasser und wenig Möglichkeiten für Hygiene gäbe, verbreiteten sich Krankheiten wie Läuse und Zahnfleischentzündungen. „Besonders unter Kindern breiten sich die Epidemien rasend schnell aus“, so Abo Ahed.

Ein Mann, Mohamad Abo Ahed

Mohamad Abo Ahed Foto: David Bedürftig

Die Belagerung verhindere jegliche Einfuhr. Schulen, Märkte und Wohnhäuser seien gezielt bombardiert und zerstört wurden, alle Geschäfte hätten geschlossen.

Dass sich die Situation verbessert, ist nicht abzusehen. Kurz keimte Hoffnung auf eine Waffenruhe auf, aber Russland blockierte am 22. Februar eine solche Resolution im UN-Sicherheitsrat. Eine erneute Abstimmung über einen leicht abgeschwächten Resolutionsentwurf wurde für Freitag erwartet. Die Vorlage sieht einen 30-tägigen Waffenstillstand vor. Sie soll außerdem die Lieferung humanitärer Hilfe und Evakuierungen zur medizinischen Behandlung ermöglichen.

Der russische Vertreter bei der UN, Wassili Nebensja, spricht in Bezug auf die humanitäre Lage von Falschmeldungen und einer Desinformationskampagne.

Alaa Alahmad

Alaa Alahmad, ein 26 jähriger Journalist aus Ost-Ghouta, widerspricht vehement: „Es gibt hier einige gute Journalisten, die für arabische und westliche Nachrichtenagenturen so gut es geht recherchieren und berichten.“ Aber das sei sehr kompliziert, denn man hätte kaum Strom und Licht und natürlich die ständige Angst vor Bomben, „die bewusst auf zivile und nicht nur militärische Ziele abgeworfen werden“.

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Generell gebe es kaum ein Leben außerhalb der Keller, so Alahmad. „Es gibt kaum noch Essen und keine Bäckereien und kein Mehl mehr, um Brot zu backen“, sagt Alahmad. Die Lokalbevölkerung pumpe Wasser aus dem Erdboden, das aber nicht trinkbar sei.

Die internationale Gemeinschaft zeigt sich empört, ist aber zum Zuschauen verdammt oder unternimmt jedenfalls nichts. Die Zivilbevölkerung der Ost-Ghouta verreckt.

„Wenn du jetzt hier her kommst, dann kehrst du in Stücken heim“, warnt Dr. Mohamad Abo Ahed. Allein am Donnerstag habe er 30 Leichen in seinem Medical Center gehabt. „Es gibt in der Ost-Ghouta kaum noch Anzeichen von Leben. Wir sind komplett zerstört.“

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