CSU-Urgestein zum Asylstreit in der Union: „Seehofers Tun ist unverantwortlich“

Peter Hausmann ist einer der wenigen CSUler, die Seehofers Kurs öffentlich kritisieren. Der Exchef des „Bayernkuriers“ über den Machtkampf in der Union.

Peter Hausmann steht im Grünen

Äußerte sich in den vergangenen Jahren allenfalls in Sitzungen seines Ortsverbands Laim-West zur CSU-Führung: Peter Hausmann Foto: Thomas Dashuber

Peter Hausmann ist in der CSU nicht irgendwer. Der 67-Jährige war sechs Jahre lang Chefredakteur des „Bayernkuriers“, das Zentralorgan der CSU. Von 1994 bis 1998 arbeitete er als Regierungssprecher unter Bundeskanzler Helmut Kohl, davor hatte er schon für den damaligen CSU-Vorsitzenden Theo Waigel gesprochen. Hausmann ist seit fast fünfzig Jahren CSU-Mitglied. Im Vorgespräch für das Interview sagt er: „Bremsen Sie mich, wenn ich zu emotional werde.“

taz: Herr Hausmann, Sie haben sich seit vier Jahren nicht mehr öffentlich zur CSU und ihrer Führung geäußert. Warum tun Sie es jetzt?

Peter Hausmann: In mir gärt es schon länger. Seit Jahren kann ich in wichtigen Punkten die Mehrheitsmeinung in der CSU nicht mittragen, habe mich bisher aber nur intern in Vorstandssitzungen meines Orts- und Kreisverbands geäußert. Aber jetzt reicht’s. Ich ärgere mich sehr über den Kurs der CSU-Führung. Sie zettelt ohne Not einen Grundsatzstreit mit der Kanzlerin an.

Bundesinnenminister Horst Seehofer will Flüchtlinge, die in anderen EU-Staaten registriert wurden, an der Grenze abweisen. Merkel sperrt sich dagegen.

Mich erinnert der Streit an die Szene aus dem James-Dean-Klassiker „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Da veranstalten zwei zornige junge Männer ein „Chicken Game“. Sie rasen mit zwei Autos auf einen Abgrund zu. Wer als Erster rausspringt, ist das Chick, der Feigling. Das Duell endet für einen Kontrahenten tödlich.

Das ist bei Merkel und Seehofer nicht ausgeschlossen. Bisher ist offen, wie ein Kompromiss aussehen könnte.

In der Tat. Gibt Merkel nach, wäre sie öffentlich von der CSU, der kleinen Schwester der CDU, vorgeführt worden. Ihre Autorität wäre dahin. Bleibt die Kanzlerin hart, müsste sie Seehofer als Innenminister entlassen, wenn er ihre Richtlinienkompetenz ignoriert. Das könnte die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU beenden – und die Große Koalition sprengen. Den Konflikt so zu eskalieren, wie es Seehofer, Do­brindt und Söder tun, ist deshalb unverantwortlich.

Finden Sie Seehofers Position in der Sache falsch?

Ich verstehe gut, dass ein CSU-Chef eine Erschütterung, die viele Menschen spüren, zum Thema macht. Die Flüchtlingspolitik bewegt die Leute. Aber Seehofer, Dobrindt und Söder überziehen. Deutschland kann sich der Flüchtlingskrise nicht entziehen, indem es die Grenzen im Alleingang schließt.

Warum nicht? Andere Staaten warten auf ein solches Signal, argumentiert der Vorsitzende der CSU im Bundestag, Dobrindt.

Es hat einer Partei noch nie genutzt, den eigenen Regierungschef zu demontieren. Die Wähler mögen das nicht

Die Akteure von heute erinnern sich offenbar kaum noch an das Jahr 2015, als Hunderttausende über die Grenze kamen. Merkel ließ die Menschen damals ins Land – auch auf Wunsch von Ungarn und Österreich. Sie tat das, weil sie eine humanitäre Katastrophe verhindern wollte. Ich bin der Kanzlerin bis heute dankbar dafür. Denken Sie an die Bilder der Flüchtlinge, die im Budapester Bahnhof campierten, oder an das des toten Jungen am türkischen Strand.

Heute kommen viel weniger Flüchtlinge, weil Deutschland und andere EU-Staaten restriktive Maßnahmen ergriffen haben. Passten Abweisungen da nicht ins Bild?

Mal abgesehen davon, ob Seehofers Wunsch überhaupt geltendem Recht genügt: Was passiert denn, wenn Deutschland die Grenze schließt? Österreichs Regierung trat 2015 anfangs als Partnerin in Sachen Humanität auf, änderte aber rasch ihren Kurs. Die Behörden charterten damals Busse, um Flüchtlinge an die bayerische Grenze zu fahren. Italien agierte ähnlich. Warum sollten unsere Nachbarn nicht wieder zu solchen Notwehrmaßnahmen greifen, wenn wir dichtmachen? Wollen wir, dass verzweifelte Menschen vor der Grenze unter freiem Himmel campieren?

Was ist das Motiv der CSU-Spitze? Geht es nur um die bayerische Landtagswahl?

Die Wahl in Bayern ist ein wichtiges Motiv. Seehofer und Dobrindt gaben nach dem bestürzenden Bundestagswahl-Ergebnis der CSU die Parole aus, die rechte Flanke zu schließen. Die Frage ist aber, ob man mit ihrem Kurs die rechten „Merkel muss weg“-Schreihälse zurückgewinnt. Es sieht nicht danach aus. Die AfD liegt in Bayern – horribile dictu – stabil bei 12 Prozent.

Will Seehofer Merkel stürzen? Vom CSU-Chef wird der Satz überliefert, er könne mit der Frau nicht mehr arbeiten.

Ich hoffe sehr, dass dem nicht so ist. Es hat einer Partei noch nie genutzt, den eigenen Regierungschef beziehungsweise -chefin zu demontieren. Die Wähler mögen das nicht. Als Helmut Schmidts Kanzlerschaft endete, war er auch das Opfer von SPD-Intrigen. Danach folgten 16 Jahre Kohl. Die Kanzlerin angesichts der unsicheren Lage in Europa und der Welt zu schwächen, ist unverantwortlich und gefährlich.

Theo Waigel hat immer gesagt: Macht das Fenster zu, wenn die Familie streitet. Im Moment fetzen wir uns – und lassen das Fenster sperrangelweit offen

Aber Sie schließen nicht aus, dass Seehofer daran arbeitet?

Sagen wir es so: Ich habe nicht den Eindruck, dass die handelnden Akteure in der CSU meine Sicht uneingeschränkt teilen. Theo Waigel hat immer gesagt: Macht das Fenster zu, wenn die Familie streitet. Im Moment fetzen wir uns – und lassen das Fenster sperrangelweit offen.

Merkels Sturz würde immerhin das „Merkel muss weg“-Mantra der AfD entkräften.

Man darf diesen Populisten nicht nachgeben. Ihre Maxime darf die Politik nicht bestimmen. Dabei bestreite ich nicht, dass die Integration von Menschen aus einem anderen Kulturkreis eine gewaltige Aufgabe ist. Als Ende des 19. Jahrhunderts Polen ins Ruhrgebiet einwanderten, gab es dort harte Aus­ein­an­dersetzungen mit Einheimischen. Aber man darf seine Grundsätze nicht verraten.

Wie sieht das die CSU-Basis? Sie sitzen im Vorstand des Ortsverbands Laim-West.

Seehofers Sicht wird wohl von der Mehrheit geteilt. Aber ich bin mit meiner Kritik nicht allein. Ich bekomme seit meinem Blogbeitrag viele Zuschriften von Parteifreunden, die sagen: Endlich schreibt’s mal einer. Viele CSU-Wählerinnen und Wähler engagieren sich ja zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe …

Solche Menschen hat Dobrindt beleidigt, indem er von einer „Anti-Abschiebe-Industrie“ sprach.

Richtig. Das sind bürgerliche, konservative Leute, die Flüchtlingen Sprachunterricht geben oder ihnen bei Behördengängen helfen. Sie fühlen sich von der CSU-Spitze allein gelassen. Die Entfremdung nimmt zu.

Herr Hausmann, Sie klingen frustriert.

Der Frustpegel ist hoch, das streite ich nicht ab. Wenn ich höre, dass der Parteivorsitzende und der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag die CSU als Mitte-rechts-Partei verorten, muss ich widersprechen. Die CSU versteht sich ausweislich ihres Grundsatzprogramms als liberal-konservative Partei.

Sie selbst sind 1970 in die CSU eingetreten. Warum?

Franz-Josef Strauß hat mich als junger Mann angesprochen. Er war ein liberaler Konservativer, auch wenn ihn manche heute als dumpfen Nationalisten hinstellen. Strauß vertrat zum Beispiel moderne europäische Ideen, er brachte eine Währungsunion ins Spiel und dachte über einen Staatenbund nach.

Unter Franz Josef Strauß kündigte die CSU-Landesgruppe 1976 kurzfristig die Gemeinschaft mit der CDU im Bundestag auf. Die CSU spielte damals mit dem Gedanken, bundesweit anzutreten. Halten Sie ein solches Szenario heute für denkbar?

Das hielte ich für Irrsinn. Wie soll das gehen?

Strauß sagte damals, man könne getrennt marschieren, aber vereint schlagen – also gemeinsam regieren.

Nein, stellen Sie sich dieses Szenario mal vor. Die Verletzungen wären enorm. Die CDU würde grollen, weil die CSU ihre Kanzlerin gestürzt hätte. In jedem Wahlkreis würden dann ein CDU- und ein CSU-Kandidat miteinander konkurrieren, man nähme sich Stimmen weg. Zwischen den Schwesterparteien entstünde ein tiefer Graben. Das konservative Lager würde zersplittern, ähnlich wie es die SPD im linken Lager mit Grünen und Linkspartei erleben musste.

Wird Merkel einen Kompromiss finden, mit dem die CSU leben kann?

Ich hoffe es. Sie kämpft an mehreren Fronten. Zu der innenpolitischen Situation kommt die in Europa. In mehreren wichtigen EU-Staaten gibt es den Trend zu mehr Nationalismus. Dass sich die Kanzlerin mit Frankreichs Präsident Macron auf eine gemeinsame Asylpolitik und ein Euro-Zonen-Budget ge­einigt hat, ist ein wichtiger Schritt.

Bayerns Ministerpräsident Söder hat die Einigung kritisiert. Er warnte Merkel davor, sich Zusammenarbeit in Asylfragen mit finanziellen Zusagen zu erkaufen.

Ich nehme das zur Kenntnis. Ebenso nehme ich zur Kenntnis, dass der Ministerpräsident sagt, der Multilateralismus werde abgelöst von Entscheidungen einzelner Länder. Analytisch mag das richtig sein, es gibt diesen Trend. Aber die Frage ist doch, wie die Antwort der CSU lautet. Wenn sie auf mehr Nationalismus setzt, wendet sie sich ab von einer Jahrzehnte währenden europapolitischen Tradition.

Wenn es nötig würde, einen CDU-Ortsverband in Bayern zu gründen: Stünden Sie zur Verfügung?

Ich hoffe, dass sich mir die Frage nicht stellt.

Aber Merkel könnte Sie anrufen?

Jeder kann mich immer anrufen. Aber ich glaube nicht, dass sie meine Hilfe braucht. Und ich strebe kein Amt oder Mandat an. Da braucht sich niemand Sorgen machen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.