Gala für Flucht­hel­fe­r*in­nen: Ehren statt kriminalisieren

Wer andere beim Fliehen unterstützt, wird meist als Schleuser kriminalisiert. Das ist falsch und verschiebt die Verantwortung, findet eine Initiative.

Ein Rettungsboot des Motorsegelschiffs "Nadir" begleitet ein überfülltes Stahlboot im Mittelmeer

Rettungsboot neben einem überfüllten Flüchtlingsschiff im Mittelmeer im Juni Foto: Pietro Desideri / dpa

BERLIN taz | Für Lisa Fittko war es eine lebensgefährliche Reise – heute dagegen ist der Weg gut ausgeschildert, geübte Wanderer laufen in rund fünf Stunden vom südfranzösischen Banyuls-sur-Mer ins spanische Portbou. Und dass sie dabei eine Grenze überqueren, merken die meisten Wanderer im Schengenraum kaum. Für die Be­glei­te­r*in­nen von Fittko konnte die Grenze dagegen eine Rettung sein. Die 31-jährige Sozialistin hatte vor ihrer Flucht nach Frankreich in Berlin gelebt. Nun half sie ab 1940 Menschen dabei, jenes Frankreich zu verlassen, das gerade vor der Wehrmacht kapituliert hatte – und damit für Tausende in Marseille und anderen Orten Südfrankreichs Gestrandete keine sichere Zuflucht mehr bot.

Sieben Monate begleitete Lisa Fittko Menschen auf dem Weg nach Portbou, unter anderem auch Walter Benjamin. Ein „paar hundert Leute“ seien es am Ende gewesen, schrieb Fittko später in ihren Erinnerungen, dem Buch „Mein Weg über die Pyrenäen“. 1941 flüchtete sie selbst, zunächst nach Kuba, später in die USA, wo sie bis zu ihrem Tod 2005 lebte.

Am 25. Juni 1986, rund 46 Jahre nach ihrer Zeit in Banyuls-sur-Mer, zeichnete sie der damalige Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker für ihre Tätigkeit als Fluchthelferin mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse aus. Das ist der zweithöchste Orden, mit dem die Bundesrepublik Menschen ehrt. Verliehen wird er für besondere, vorbildliche politische, wirtschaftliche, kulturelle, geistige oder ehrenamtliche Leistungen.

Gegen tödliche Grenzen

Und heute? Da mutet Fluchthilfe eher wie etwas Kriminelles an statt wie etwas Ehrenhaftes, Vorbildliches. Und diejenigen, die ein Boot steuern, ein Auto fahren oder einen Weg über eine Grenze weisen, die nennt die Polizei in der Regel Schmuggler, Schlepper und Schleuser, nicht Flucht­hel­fer*in­nen. Die Ini­tia­ti­ve borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen e. V. will dem etwas entgegensetzen. Mit einer Gala zum von ihr ausgerufenen Tag des Schmuggels wollen sie „Europas Schmuggler und Schleuser“ festlich ehren und gegen tödliche Grenzen protestieren.

„Wir haben uns einige Fälle von sogenannten Schmugglern genau angesehen“, sagt Julia Winkler von boder­line-­europe. „Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Schmuggel wird jegliche Unterstützung für Flüchtlinge kriminalisiert“, sagt sie. Das führe zu absurden Fällen, etwa wenn Flüchtlinge des Schmuggels bezichtigt werden, die selbst Teil einer Gruppe sind, die eine Grenze überwindet.

„Wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken oder in Lkws ersticken, dann wird schnell die Schuld auf die Schmuggler geschoben“, sagt Winkler. „Wir halten das für ein politisches Ablenkungsmanöver, mit dem sich Regierungen aus der Verantwortung ziehen.“ Denn Menschen hätten meist keine andere Möglichkeit, als sich anderen auf der Flucht anzuvertrauen.

Neue Wanderwege?

So, wie Lisa Fittko später geehrt wurde, will die Initiative mit der Gala am Sonntag in Berlin diejenigen auf eine Bühne heben, die „durch ihr Handeln dazu beitragen, das EU-Grenz­regime zu unterlaufen“. Als besondere Ehrengäste kündigen sie folgerichtig „verurteilte Schmugg­ler*in­nen“ an: tätig in Italien, Griechenland, Slowenien oder an der polnisch-ukrainischen und der polnisch-belarussischen Grenze.

Die Gala ist im Ballhaus Prinzenallee und im Livestream zu sehen. Auch von Lisa Fittko wird zu hören sein, wenn Auszüge aus ihrem Buch gelesen werden. Und wer weiß: Vielleicht werden ja in rund 50 Jahren dann offiziell ausgeschilderte Wanderwege durch die polnisch-belarussische Grenzregion führen. Auf Spuren heutiger Schlepper, Schmuggler und Schleuser.

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