Die Wahrheit: Ferien im Festnetz

Sommerurlaub 2023: Quo vadis? Der große Wahrheit-Trendreport zum Thema Nummer eins. Jetzt auch mit Ausflug ins All.

Ein Cartoon in Farbe mit einer Spacerakete

Illustration: Kittihawk

Das Gedränge ist groß. Viele wissen noch nicht wohin – und ob überhaupt. Ob überhaupt sie noch im Hoch- oder Spätsommer, ja, ob sie überhaupt jemals wieder in ihrer aller Leben einen waschechten Urlaub antreten können. So wie es früher einmal war vor der Pandemie, vor Putins perversen Pirouetten, vor dem Verfall des Feierabendbiers: Man buchte Malle, zwei Wochen Vollpension mit Liege an der Playa für gefühlt acht Euro fuffzig – inklusive medizinischem Rückholservice in die Heimat, nach Detmold oder Dingolfing, falls man doch mal über den Durst getrunken hatte.

Wer es ruhiger, beschaulicher, ja nachgerade kultivierter wollte, der optionierte in diesen untergegangenen Zeiten für Toskana oder Marbella – inklusive Häppchen all drin oder für den Tauchgang im Toten Meer.

Deswegen, ob des drohenden Verlustes all dieser mannigfaltigen Urlaubsangebote sind all diese unentschlossenen, urlaubswütigen Menschen hier. Dort in der Halle 3a der Alten Messe München. Die Deutsche Zentrale für Tourismus hat sich zusammen mit den großen Reiseveranstaltern der Branche wie der TUI, Jeff Bezos, Aldi Reisen, Elon Musk und dem Reisestübchen Sonnenplatz spontan diese Woche zu einem Ferien-Pop-up der Spitzenklasse zusammengetan.

Denn eins, wenn nicht zwei oder drei, ist so klar wie der Reisekulturbeutel: Urlaub machen ist kaum mehr möglich und wird immer schwieriger. Denn, so das renommierte Branchenblatt Der Spiegel jüngst: „Die Preise werden weiter steigen, zu viele Trends tragen dazu bei.“ Da ist sie wieder, die gute alte und äußerst treue Reisebekanntschaft „Trend“! Denn, so der Spiegel weiter: „Da ist der Fachkräftemangel. Da sind die vielen Urlaubsregionen, die den Massentourismus einschränken und auf hochpreisige Angebote für wenige setzen.“

Drei Stunden mit Stulle und Reinhold Messner

Beispiel? Drei Stunden am Nanga Parbat inklusive Stulle, Lindenblütentee ‚Diamir‘ sowie Reinhold Messner für schlappe 34.590 Euro. Zitat weiter: „Die Klimaziele machen Billigflüge unwirtschaftlich. Vor allem aber: Immer mehr Menschen aus anderen Ländern sind bereit, für Urlaub viel Geld auszugeben“. Na sowas. „Wohlhabende Chinesen, Inder, Russen verdrängen die deutsche Mittelschicht.“ Sagsn di, Frechheit!

Beim Reisestübchen Sonnenplatz, der letztlich treibenden Kraft hinter dem Ferien-Pop-Up in München, ist man da schon weiter in der Analyse und dem daraus folgenden Angebot. Dank einer mittlerweile verstetigten Kooperation mit SpaceX, dem bekannten Raumfahrt- und Telekommunikationsunternehmen von Elon Musk, der nicht nur die südafrikanische, die kanadische und die US-Staatsbürgerschaft besitzt, sondern auch die vom oberbayerischen Tegernsee, offeriert man hier auf der Messe, die für jedermann, jederfrau und jedes Strandhandtuch jederzeit und bis noch diesen Sonntag 18 Uhr offen ist, einen allfälligen Allspaziergang mit Wassertreten nach Kneipp.

Anzutreten jederzeit, rund um die Uhr, virtuell am Schirm über die Austauschmedien Zoom oder Teams, aber auch in echt und mit einem Pappnasenaufsteller von Musk persönlich an Bord der Unterschallrakete. Letztere verfügt über Schlafkojen für bis zu 17 Personen und eine vegane Imbissstation. Kostenpunkt ohne Mehrwertsteuer: Online teurer, aber „ein wirklich soziales, marktgängiges Angebot“, freut sich stolz Lioba Bauchmüller vom Reisestübchen aus München-Daglfing.

Eselanfassen und Einwecken mit Profis

„Wir konnten mit SpaceX hervorragende Konditionen aushandeln, da es endlich wieder um Masse und Klasse gleichzeitig geht. Ein Urlaubstraum vom Feinsten“, freut sich die rundliche 78-jährige Reiseverkehrsfrau. Virtuell beläuft sich der Allspaziergang je nach Länge und Breite und Visakram auf rund 17.457 Euro pro Person. Wer den hautnahen Ausflug in den Kosmos persönlich oder via Festnetz erleben will, ist mit schlappen 599 Euro dabei, Tischwein allerdings extra. Preise wie früher für vier Wochen Bayerischer Wald plus Eselanfassen und Einwecken mit Profis.

„Das Unternehmen SpaceX wurde ja mit dem Ziel gegründet, Technologien wie das Starship-Raketenprojekt zu entwickeln, die es der Menschheit ermöglichen sollen, den Mars zu kolonisieren und das Leben auf anderen Planeten zu verbreiten“, holt Bauchmüller aus und kredenzt uns den dritten Piccolo auf Reisestübchenkosten. „Da kommt unser ‚Ferien im All‘-Angebot gerade recht!“

Unsere Kladde ist nun bereits vollgekritzelt mit heißen Tipps zu allem rund um das heiße Eisen „Sommerurlaub 2023“ auf der Alten Messe München. Doch wollen wir nicht vergessen, nach der Deutschen eigentlich liebsten Urlaubsziel wenigstens gefragt zu haben. „Wie verhält es sich in diesen schweren Zeiten mit Pizza Quattro Stagioni, also mit Italien?“, wollen wir von Bauchmüller wissen.

„Was soll ich sagen?“, gluckst die griffige Geschäftsfrau. „Italien war und ist eine Chimäre. Italien hat es nie gegeben, zumindest nicht als Urlaubsland.“ „Als was denn sonst?“, fragen wir alert zurück. „Italien, machen wir uns doch mal ehrlich“, doziert die schöne alte Münchnerin, „ist eine Metapher für Träume, die nicht wahr werden, für verpasste Autobahnausfahrten und Sonnenbrand, den es ja bis vor Kurzem noch gab.“ Wir nicken ergriffen und denken an unsere bis vor Kurzem noch andauernde Kindheit zurück.

Sie scharren schon mit den Gepäckhufen

Da geht ein Raunen durch die Messehalle 3a. Plötzlich weichen die unschlüssigen Massen dieses Ferien-Pop-ups zurück, bilden eine Rettungsgasse, fassen sich an den Händen, singen „Hallelujah“. Jeffrey Preston „Amazon“ Bezos betritt den riesigen Raum, der ökologisch und naturgetreu mit Spanbrettern und Pfefferbrezn verkleidet ist.

Lioba Bauchmüller vom Reisestübchen Sonnenplatz kramt ihren Autogrammstift hervor. Was wird der große Rivale von Elon „Gemächt“ Musk den mit den Gepäckhufen Scharrenden verkünden? Welchen neuen Ferienreisetrend wird er ausrufen? Was passiert mit dem Sommerurlaub 2023?

Bezos schweigt. Die Spannung steigt. Bezos holt sich erst mal eigenhändig ein Bier an seinem firmeneigenen Stand von Blue Origin. Nach ein paar saftigen Rülpsern setzt er schließlich an: „Elon und ich konkurrieren nicht mehr im Weltallgeschäft.“

Die Ankündigung sitzt, die Überraschung ist perfekt. „Das Weltall ist bis auf Weiteres geschlossen“, ruft Bezos. Wieder geht ein Raunen durch die Menge in München. „Wir zwei machen Langzeiturlaub. Per 1. August lassen wir uns abschießen auf den Mars. Oans, zwoa, gsuffa!“

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