Die Wahrheit: Ihnen ist alles wurscht

Thüringer Wutwürstchen: Investigative Erkundigungen im abgedrifteten Dunkeldeutschland zwischen russischen Fahnen und Volkspolizisten.

Bratwurstbrötchen mit Senf in Nationalfarben

Schwarzrotbrat sind die Thüringer Farben Foto: Seyboldtpress

Nirgends scheinen die Rechtsextremisten derzeit angesagter zu sein als in Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Dann kommt aber schon Thüringen, dessen besorgte Bürger sich vor Wut (auf die Wessis), Hass (auf Ausländer) und Sorgen (um Spritpreise) auch nicht mehr anders zu verhalten wissen, als wütend (Klimaspinner), hasserfüllt (Gendergaga) und rechtsradikal zu sein (Heizungshammer).

Man dürfe eben nicht länger versäumen, die Menschen mitzunehmen, wie die einen raten (Gauck, Lanz, Juli Zeh), während andere empfehlen, sie lieber abzuholen – was die Nazis aber offenbar bereits längst getan haben. Muss man deshalb jetzt eine möglichst hohe Brandmauer ziehen um das nach seiner Wurst benannte Bundesland Mitteldeutschland, wo es die AfD ja eher verortet? Oder reicht es, einen großen Bogen zu machen um das Mutterland von Greizer Kloßbrühe, Schmöllner Pickelkuchen und Altenburger Leberwurstsaft (mit ganzen Stücken)?

Für unsere Reportage aus Thüringen haben wir als gelernte Wessis unseren Schreibtisch in Niedersachsen nicht eine Minute verlassen. Allerdings ist das auch gar nicht nötig, denn die Wahrheit über Thüringen springt einem sofort ins Gesicht: Es ist die Ostbratwurst unter den Bundesländern.

Thüringen ist schön; jedenfalls, was Thüringer für schön halten: bestens ausgebaute Kfz-Pisten, keine Flüchtlinge und überall diese Holzkreuze, die an die Gendertoten erinnern. „Im Gedenken Sandro’s“ ist auf einem erdgasbetriebenen Grablicht am Rande der B7 zu lesen. „Von den Grünen verboten!“ steht an einer Schwerölheizung aus DDR-Beständen, die jemand auf dem Standstreifen der A4 abgestellt hat. Einfach so. Eine russische Fahne knattert im Fahrtwind der vorbei zischenden SUVs, die meisten mit fröstelmachenden Ortskennzeichen wie GRZ, KYF, SON … uns fröstelt.

Weststrom absaugen

Ob er lieber abgeholt oder eher mitgenommen werden wolle, fragen wir den erstbesten Thüringer, dem wir außerhalb seines Autos begegnen. Der Mürrische lungert an einer zwei-öltank-großen E-Ladestation herum, während sein „Töslö“, wie die Thüringer statt E-Auto sagen, Strom saugt; besten Weststrom natürlich, weil das lahme Ostzeug, das sie hier seit 1949 aus brauner Kohle und mit Fahrraddynamos erzeugten, schon lange nichts mehr taugt. Aber dieser Thüringer versteht uns nicht. „Schöiß Wössis“, nölt er, „vörpösst döch!“ Er zieht seine Bratwurst. „Völksföhrröder!“, brüllt er hinter uns her. Kloß schnell weg hier.

Kurz danach, im malerischen Sonneberg (Grundfarbe Braun), erleben wir unseren ersten Fackelmarsch; ja, ist denn heute schon Montag? „Öns döch wörscht“, knöttert eine der Nichtlangefacklerinnen, die sich auf ihre Bauchbinde vorne „Meine Heizung gehört mir!“ und hinten „Grüne zerhacken“ gekrakelt haben. „Wir möschörn jöds tögglöch“, krakeelt sie. „Wöil öndlich möl Schluss sön möss.“

Eine Art Volkspolizist mit AfD-Ordnerbinde am Grußoberarm kommt angeschissen. „Schluss jetzt!“, bellt er und drängt uns zackig ab. Wir schlagen der mit der Bauchbinde als Losung „Grüne zerhabecken“ vor. Schlimmster westdeutscher Boomer-Humor eigentlich, den sie aber „zöm Piepen!“ findet. Witzaufbau Ost.

Nächster Versuch: „Woran erkennt man einen thüringischen Laternenpfahl, Herr Wachtmeister?“ Die Antwort des Vopos kommt wie aus der letzten Wählerumfrage geschossen (AfD 32Prozent): „Dass unsere Plakate immer unten hängen, die der Systemparteien dagegen möglichst weit oben.“ Und bald sicher nicht mehr nur deren Plakate.

Ostkatzen töten

Wir fragen einen Thüringer mit landestypischem SS-Tattoo im Gesicht, ob etwa auch er die Rechten wähle. Er habe immer rechtsextrem gewählt, sagt der bullige Mann, während er eine Katze tötet, fühle sich aber inzwischen „nur noch verarscht“ von CDU und FDP. Jetzt mache er sein Hakenkreuz lieber bei der AfD. Angesprochen auf Merz, verdreht er die Augen. Er wolle dazu lieber schweigen. Sonst würde man ihn in die Ecke stellen: „Öls Nözi.“

Abschließend geht’s noch auf einen kurzen Gedankensprung in die Erfurter Wir-sind-das-Volkssauna. „Gönseflöisch mal die Buxen öwnen?“, herrscht uns an der Kasse einer an, „Göschlöchtsköndrölle!“ Sie wollten hier keine Perücke tragenden Wessis, die sich in Frauenkleidern in die Damensauna einschleichen.

„Ohne Erektion kein Zutritt“, steht an der Tür zur Herrenmenschen-Sauna. Drin wird bereits ein verbaler Aufguss gemacht: „Erfurter, Thüringer, Deutsche“, lässt jemand ordentlich Dampf ab, „wir müssen unsere Männlichkeit wieder entdecken. Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wieder entdecken, werden wir mannhaft. Und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!“

„Wehrhaft“ darf man schon mal sagen, aber „liebe Freunde“ klingt doch eher lachhaft. Da müssen wir wohl leider draußen bleiben.

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kari

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