Ukraine-Vorstoß von Nato-Stabschef: Frei Haus ans Messer liefern

Ein Mitarbeiter des Nato-Generalsekretärs schlug vor, die Ukraine könne Gebiete abtreten, um Nato-Mitglied zu werden. Solche Gedankenspiele senden ein fatales Signal an die Ukra­iner*innen.

Präsident Selenskyj und Nato-Generalsekretär Stoltenberg bei einer Pressekonferenz.

Gebietsabtretungen für Nato-Beitritt? Selenskyj und Stoltenberg beim Nato-Gipfel im Juli Foto: Ints Kalnins/reuters

„As long as it takes“ – war da mal was? Die Ausführungen des Büroleiters von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Stian Jenssen, lassen gehörige Zweifel aufkommen. Bei einem runden Tisch in Norwegen brachte er die Option ins Spiel, die Ukraine könne Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses werden, müsse dafür aber im Gegenzug einige Gebiete an Russland abtreten – um des lieben Friedens willen, versteht sich. Gleichzeitig betonte er, dass Kyjiw entscheiden müsse, unter welchen Bedingungen Verhandlungen aufgenommen werden.

Ja, geht’s noch? Da wird etwas zusammengedacht, das nicht zusammenpasst. Und weist die Nato nicht immer wieder selbst darauf hin, dass Staaten mit ungelösten territorialen Konflikten, wie Georgien und die Republik Moldau, nicht beitreten können?

Ausnahmen bestätigen die Regel, aber man stelle sich einmal vor, was dieses Szenario für die Ukraine – beziehungsweise das, was dann von ihr noch übrig bliebe – in der Praxis bedeutete. Die Territorialfrage wäre elegant gelöst und der Kreml würde für seinen Angriffskrieg gegen den Nachbarn mit tausenden Toten und komplett verheerten Landstrichen auch noch belohnt.

Realitätsferne Hoffnung

Die Ukrainer*innen, die in den besetzten Gebieten leben, würden frei Haus ans Messer geliefert. Um zu begreifen, was das bedeutet, gibt es Anschauungsmaterial zuhauf. Ein Blick in den Donbass oder in die seit dem 24. Februar 2022 von Russland besetzten Gebiete genügt. Auch die Hoffnung, derartige faule Kompromisse könnten als eine Art Appetitzügler den Kreml künftig von weiteren Waffengängen abhalten, ist realitätsfern.

Davon abgesehen: Derartige Gedankenspiele, wie Land gegen „Frieden“, senden ein fatales Signal an die Ukra­iner*innen. Sie haben schon jetzt einen hohen Preis entrichtet, der täglich steigt. Unter den Menschen geht die Angst um, die Unterstützung des Westens könnte bröckeln. Denn so kann Jenssen auch gelesen werden. Sollten sich diese Befürchtungen bewahrheiten, es wäre eine Katastrophe.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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