Flexibel bleiben in Sydney: Von Minderheiten, die keine sind

In Europa gilt Australien als weiße Nation. Doch beim Besuch in Sydney bietet sich unserer Kolumnistin ein anderes, vielfältiges Bild.

Einkaufsstraße in Sydney, voller Menschen

Straßenbild in Sydney Foto: Joel Carrett/imago

Wenn ich aus dem Bahnhof trete, kann ich als erstes Dim Sum essen. Zu jeder Tageszeit ist das kleine chinesische Restaurant voller Menschen, die hier recht pragmatisch speisen.

Daneben befindet sich eine koreanische Fleischerei, gegenüber ein malaysischer Fast-Food-Stand, es gibt einen vietnamesischen Sandwichladen, einen Japaner. Und dazwischen Angebote aller Art: Traditionelle chinesische Medizin, Lebensmittelläden voller Taro­wurzeln, Reiskuchen und obskuren Milchpulvergetränken, ein nepalesischer Minimarkt mit gigantischen Reissäcken und goldenen Bildern hinduistischer Göttinnen. Spirituelle Konkurrenz macht am Nachbarhaus ein indischer Heiler, der alles beseitigen kann: Jobprobleme, negative Energie, Eheprobleme, auch kann er Liebende wieder zusammenbringen und bei widerspenstigen Kindern helfen. So sieht es aus in Sydney, Australien.

Von Minderheiten geprägte Stadtviertel gibt es in jeder strahlkräftigen Metropole der Welt, doch in Sydney drängt sich die Frage auf: Was ist eigentlich eine Minderheit? Wer bestimmt das? Bald 20 Prozent aller Aus­tra­lie­r:in­nen beschreiben sich als asiatischstämmig. In Europa gilt Australien als weiße Nation: ein Australier ist hochgewachsen, weiß, geht surfen und isst Beef Burger. In Sydney aber sind australische Gesichter so divers, dass es unsinnig wird, Bevölkerung nach Mehrheiten oder Minderheiten zu kategorisieren. Über die Hälfte der Ein­woh­ner:in­nen sind im Ausland geboren, und 40 Prozent sprechen zu Hause eine andere Sprache als Englisch, häufig etwa Mandarin, Thai oder Indonesisch. White Australia? Zumindest hier ist das passé.

Trotzdem bleibt Rassismus auch in Sydney ein großes Thema und im Stadtbild erkennt man deutlich, wer sich wo die Miete leisten kann. Dennoch: Die Zuordnungen scheinen flexibel. Im japanischen Restaurant plaudert eine alte Frau Japanisch auf den Kellner ein, um dann zu realisieren, dass der gar kein Japaner ist. Bei seinem Kollegen im italienischen Imbiss würde man gar nicht erst auf die Idee kommen, dass er aus Italien kommt. Statt für kulturelle Aneignung gescholten zu werden, wenn man nicht Großvaters Landesküche zubereitet, darf man hier schon mal das Camp wechseln.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

An der Bahnhaltestelle von Ashfield führt mich der Teeverkäufer in die Feinheiten des Mit­ein­an­ders ein: An der Aussprache des Wortes „Chai“ könne er hören, woher die Leute kommen. Die Nepa­les:in­nen beispielsweise sagten „Chiya“. Er selbst spricht noch Hindi und Pan­dscha­bi und außerdem einen vermischten heimatlichen Dialekt. „Wenn wir wollen, dass uns keiner von beiden versteht“, erklärt er verschmitzt, „sprechen wir den.“ Ganz flexibel eben.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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