Die Wahrheit: „Bier, ein kultureller Raub!“

Das Wahrheit-Interview: Ein Gespräch mit der Neuköllner Restaurantbesitzerin Marleen Jasper, die ausschließlich kulturell korrekt kocht.

Ein Besteck auf Serviette - auf einem Holztisch

Karge Küche, kulturell und kulinarisch Foto: rtr

Dürfen Weiße „Afros“ tragen? Sollten Dreadlocks nicht Jamaikaner*innen vorbehalten bleiben, Tattoos den Aborigines, Ricola dem Schweizer, denn wer hat’s erfunden? In alternativen Kreisen tobt eine Debatte um weiße Privilegien und „cultural appropriation“. In Berlin hat nun das Ursprung eröffnet, das erste Restaurant, das auf kulturelle Aneignung verzichtet.

taz: Frau Jasper, was haben Sie heute auf der Speisekarte?

Marleen Jasper: Filet vom Bachsaibling mit Meerettichschaum auf einem Beet aus Kohlrabi. Zuckerrübenschnitzel mit Blaubeersoße auf einem Beet aus Kohlrabi. Sowie ein Beet aus Kohlrabi auf einem Beet aus Kohlrabi mit Krümeln von karamellisiertem Lauch.

Würde zum Fisch nicht auch eine Senfsoße passen?

Aber Senf erzählt eine Geschichte der kulturellen Aneignung aus dem altchinesischen Raum. Wie auch Pfeffer und Chili kulturelle Aneignungen sind, auf die wir in unserem Restaurant verzichten.

Kein Pfeffer?

Nur Salz aus einem Salzstock bei Lüchow-Dannenberg.

Aus Gorleben?

Kein Kommentar.

Und was gibt es anschließend als Dessert?

„Dessert“ ist, wie das Wort schon verrät, eine kulturelle Aneignung aus der französischen Feudalkultur. Die lehnen wir ab. Deshalb servieren wir keine Desserts.

„Servieren“?

Wir „reichen“ sie nicht.

Dann brauchen wir nach Pizza wohl nicht zu fragen.

Wieso?

Oder ist Pizza etwa politisch korrekt?

Natürlich ist sie das. Wenn man sie in Italien isst. Alles andere ist kulinarische Einverleibung.

Das müssen Sie erklären.

Was anderes wäre es, wenn ein Italiener uns dazu einlädt, mit ihm Pizza zu essen. Das wäre eine kulturelle Begegnung auf Augenhöhe.

Ein italienisch geführter Pizzaservice ist also okay?

Nein. Ich sprach von „einladen“. Sobald die Pizza zur Ware wird, opfert man die italienische Identität auf dem kapitalistischen Altar für eine privilegierte weiße Schicht. Stellen Sie sich mal vor, es gibt schon „Pizza American Style“! Traditionsverächtender kann kulturelle Aneignung nicht laufen.

Dann würden aber reihenweise italienische Pizzabäcker arbeitslos.

Richtig, sie würden dann aber nicht mehr kulturell ausgebeutet. Sie wären frei. Frei, in ihre Heimat zurückzugehen, um dort ihre kulinarische Identität unbehelligt von der deutschen Aneignungshegemonie auszuleben.

Wie gehen Sie damit um, wenn Ihre Gäste zweifelhaften Aneignungsmoden folgen?

Weiße mit Afro oder Dreads haben bei uns keinen Zutritt. Tattoos müssen verdeckt sein, um etwaig anwesende Aborigines nicht in ihren Gefühlen zu versetzen.

In England wird diskutiert, ob es statthaft ist, dass Angehörige der Oberschicht Jogginghosen tragen.

Weil die Jogginghose ein kultureller Code der Arbeiterschicht ist, richtig. Und es ist nun mal eine Form der Herablassung, ach was, Unterdrückung, den aus privilegierter Position heraus zu kopieren. Wer in der Oberschicht aufgewachsen ist, soll gefälligst Polohemden von Lacoste tragen.

Und wenn Gäste bei Ihnen in Jogginghose erscheinen?

Da lasse ich mir Einkommensnachweise vorlegen. Kommt allerdings nicht allzu oft vor, weil sich Angehörige der Arbeiterklasse unsere Gerichte eh nicht leisten können.

Gibt es bei Ihnen Bier?

Ich bitte Sie! Bier erzählt die Geschichte eines Jahrtausende währenden kulturellen Raubs! Erfunden in China, dann nacheinander angeeignet von Mesopotamien, den alten Ägyptern, den Römern und den Kelten. Alles Kulturen, die untergingen. Und wieso? Weil sie ihrer kulturellen Identität beraubt wurden.

Gehört Bier nicht auch zur deutschen Kultur?

Nein, das Reinheitsgebot von 1516 ist die historische Blutschande der kulturellen Aneignung! Pfui! Wir stellen uns entschieden gegen die Zwangsgermanisierung des Biers. Wer Bier trinkt, kann ebenso gut Blut trinken! Schlimmer als Bier sind eigentlich nur noch Kartoffeln!

Weil die von den Spaniern aus Südamerika hergebracht wurden.

Was heißt „hergebracht“! Geraubt! Den indigenen Andenvölkern entrissen! Kartoffeln stehen für brutalen Kolonialismus, die Extremform der kulturellen Aneignung. Kartoffeln sind eine Blutfrucht, sie sind Knollen der Amoralität! Der Siegeszug der Kartoffel basiert auf Missbrauch von Stärke!

Was bieten Sie denn im Winter an in ihrem Restaurant? Die Auswahl wird dann ja ganz schön dünn, wenn sie quasi urgermanisch kochen.

Dann gibt’s gebackene Rinde zum Ablecken. Von einer deutschen Eiche, bestrichen mit einem Film von Sanddornhonig.

Äh, interessant. Letzte Frage: „cultural appropriation“ ist ja ein Begriff aus dem Kontext der „white supremacy“-Debatte in den USA.

Sehr richtig.

Haben wir als weiße Europäer dann überhaupt das moralische Recht, uns diese Debatte zu eigen zu machen?

Äh … äh …

An dieser Stelle musste das Interview abgebrochen werden, da unsere Gesprächspartnerin implodierte. Dennoch vielen Dank für das Gespräch – ohne jegliche kulturelle Aneignung.

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