Namen für Bundeswehrkasernen: Der Hindenburg-Komplex

Die größte Heereskaserne der Bundeswehr trägt noch immer den Namen des umstrittenen Reichspräsidenten. Die Bundesregierung verteidigt die Namensgebung.

Hitler und Hindenburg reichen sich die Hände.

Hitler begrüßt Hindenburg beim sogenannten Heldengedenktag im Februar 1934 in Berlin Foto: imago

BERLIN taz | Taugt Paul von Hindenburg heute noch als Namenspatron für eine Bundeswehrkaserne? Die rot-grün-gelbe Bundesregierung meint, das ließe sich nach wie vor gut begründen – aufgrund seiner „Amtsführung als direkt gewähltes Staatsoberhaupt der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie“ und seines „auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung ausgerichtetes Handeln“. So steht es in einem Schreiben aus dem Verteidigungsministerium an den Linken-Abgeordneten Jan Korte, das der taz vorliegt.

Auch sonst sieht die Bundesregierung den ehemaligen Reichspräsidenten überraschend positiv. Zwar sei Hindenburgs Rolle bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 „in der Geschichtswissenschaft umstritten“, heißt es in dem Schreiben vage. Doch habe dieser sich „stets strikt an die Verfassung gehalten und die auf Ausgleich mit den einstigen Kriegsgegnern abzielende Locarno-Politik des Außenministers Gustav Stresemann unterstützt“, führt sie zu seinen Gunsten an.

Korte, der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, hatte vom Kanzleramt wissen wollen, wie die Bundesregierung dazu steht, die Hindenburg-Kaserne in Munster umzubenennen. Das fordert nicht nur die Linkspartei schon lange.

Bereits 2014 hatten sich rund 30 deutsche und internationale Historiker und andere Gelehrte mit einem Appell an die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gewandt und sie gebeten, die Namensgebung mehrerer Kasernen zu überdenken. Als Beispiel für eine zweifelhafte Benennung nannten sie explizit auch die Hindenburg-Kaserne in Munster.

Rechtsextreme Umtriebe

Doch passiert ist dort seither nicht viel. Dabei handelt es sich um eine sehr prominente Kaserne: Munster ist, gemessen an der Zahl der Soldaten, der größte Heeresstandort der Bundeswehr. Pikant: Die Kaserne liegt im Wahlkreis des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil.

Unter anderem werden dort derzeit ukrainische Soldaten im Umgang mit deutschen Leopard-Panzern ausgebildet. Aus Munster stammten allerdings auch jene rund 30 Soldaten, die im Juni 2021 aus Litauen abgezogen werden mussten, nachdem Berichte über rechtsextreme und antisemitische Äußerungen sowie Diskriminierung einer Soldatin publik wurden. Wie der Spiegel damals berichtete, sollen die betroffenen Soldaten am 20. April 2021 ein Geburtstagsständchen auf Adolf Hitler angestimmt haben.

Panzerhaubitzen in der Hindenburg-Kaserne der Bundeswehr in Munster Foto: Philipp Schulze/dpa/picture alliance

Rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr waren der Grund, warum die Namensgebung von Kasernen vor sechs Jahren auf die Agenda kam. 2017 wurde der rechtsterroristische Oberleutnant Franco A. festgenommen. Es stellte sich heraus, dass er sich als syrischer Flüchtling ausgegeben und Anschläge geplant hatte – im vergangenen Jahr wurde er dafür zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Als das Verteidigungsministerium nach Franco A.s Festnahme seine und weitere Kasernen genauer unter die Lupe nahm, stießen sie an mehreren Standorten auf Wehrmachtsdevotionalien.

Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) versprach daraufhin, alle Kasernen umzubenennen, die noch die Namen von Wehrmachtsoffizieren tragen, um solchem Treiben ein Ende zu setzen. Über Umbenennung dürfen die Soldaten vor Ort mitentscheiden, auch lokale Politiker und Vereine reden mit – es ist ein komplexer Prozess. Die zentrale Frage aber sei, „ob für die Angehörigen der Bundeswehr vor Ort der Name sinnstiftend im Sinne des Traditionsverständnisses ist oder nicht“, so das Verteidigungsministerium.

Der Umgang der Bundeswehr mit ihrer Vergangenheit wird im sogenannten „Traditionserlass“ geregelt. Diesen ließ von der Leyen nach dem Skandal um Franco A. überarbeiten. Im neuen Traditionserlass von 2018 heißt es, dieser nehme „erstmals“ die gesamte deutsche Militärgeschichte in den Blick und ziehe klare Grenzen zur Wehrmacht. Denn Tradition und Identität der Bundeswehr schlössen „jene Teile aus, die unvereinbar mit den Werten unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind“.

Widerstand von rechts

Mehrere Bundeswehrkasernen sind seitdem umbenannt worden, darunter die Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover (seit 2018 Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne), die Schulz-Lutz-Kaserne in Munster (seit 2019 Örtzetal-Kaserne), die Lent-Kaserne in Rotenburg (seit 2020 Von-Düring-Kaserne), die Feldwebel-Lilienthal-Kaserne in Delmenhorst (seit 2021 Delmetal-Kaserne), die Marseille-Kaserne in Pinneberg (seit 2021 Jürgen-Schumann-Kaserne) und die Mudra-Kaserne in Wiesbaden (seit 2022 Gereon-Kaserne). Manche dieser Kasernen waren bis dahin nach Angehörigen der Wehrmacht benannt, andere trugen Namen von umstrittenen preußischen Generälen.

In manchen Fällen entschieden sich die Beteiligten aber auch gegen eine Umbenennung. So behielten die Rommel-Kasernen in Dornstadt (Baden-Württemberg) und Augustdorf (Nordrhein-Westfalen) und die Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne in Hagenow (Mecklenburg-Vorpommern) ihren Namen. Dort hatte die AfD gegen eine Umbenennung agitiert.

Auch Paul von Hindenburg, der im August 1934 im Alter von 86 Jahren starb, ist eine höchst umstrittene historische Figur. Als Mitglied der Obersten Heeresleitung verantworte er ab 1916 im Ersten Weltkrieg den uneingeschränkten U-Boot-Krieg.

Nach Kriegsende verbreitete er die Dolchstoßlegende und ermöglichte später, als zweiter und letzter frei gewählter Reichspräsident der Weimarer Republik, den Nationalsozialisten aktiv den Weg zur Macht. 1933 ernannte er Hitler zum Reichskanzler, löste den Reichstag auf und unterzeichnete die Notverordnungen der Nazis, mit denen diese die Presse- und Meinungsfreiheit einschränkten und die Grundrechte aufhoben.

Nicht mehr Ehrenbürger

Der Handschlag von Hindenburg und Hitler am „Tag von Potsdam“ im März 1933 läutete symbolträchtig das Ende der Weimarer Republik ein. In seinem Testament schrieb Hindenburg: „Mein Kanzler Adolf Hitler und seine Bewegung haben zu dem großen Ziele, das deutsche Volk über alle Standes- und Klassenunterschiede zur inneren Einheit zusammenzufassen, einen entscheidenden Schritt von historischer Tragweite getan.“

Mehrere Städte haben Hindenburg in den vergangenen Jahren die Ehrenbürgerschaft aberkannt, darunter Hamburg und Oldenburg, Berlin, Potsdam und Eisenach. Das von Boris Pistorius (SPD) geführte Bundesverteidigungsministerium will jedoch bislang nicht von ihm ablassen. Eine Sprecherin erklärte gegenüber der taz, die Debatte zur Umbenennung der Kaserne in Munster sei noch nicht abgeschlossen. Das Vorschlagsrecht für die Namensgebung einer Liegenschaft liege bei den Angehörigen der dort stationierten Dienststellen.

Um die Diskussion zu versachlichen, habe die Bundeswehr ein wissenschaftliches Gutachten zur Person Hindenburg in Auftrag gegeben, das noch in Arbeit sei. „Nach derzeitiger Einschätzung“ werde er aber „unter anderem mit der Stabilisierung der ersten Demokratie auf deutschem Boden in Verbindung gebracht“. Gesichert sei, „dass er Hitler persönlich ablehnte und lange Zeit versuchte, die Nationalsozialisten trotz anderslautendem Wählervotums von einer Regierungsbeteiligung oder Regierungsübernahme fernzuhalten.“

Jan Korte findet das „unfassbar“. Paul von Hindenburg könne „aus demokratischer Sicht in keiner Weise traditions- oder sinnstiftend sein“, sagt der Linken-Abgeordnete. Hindenburg sei einer der „maßgeblichen Totengräber der Weimarer Republik“ und „einer der wichtigsten Steigbügelhalter der Nationalsozialisten“ gewesen. „Die Kaserne in Munster muss deshalb endlich umbenannt werden“. Es sei an der „Zeit, dass die Bundesregierung ihre Traditionserlasse endlich selbst ernst nimmt“, so Korte.

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