Basis-Arbeit und Fachkräftemangel: Boom der Hel­fe­r:in­nen

Sogenannte einfache Tätigkeiten werden immer wichtiger – trotz und gerade wegen der Digitalisierung. Die Gefahr der Ausbeutung steigt aber.

Ein Paketzusteller überquert eine stark befahrene Straße

Paketzusteller in Düsseldorf Foto: Michael Gstettenbauer/imago

Bei Tiktok ist alles easy. Berufe ohne Ausbildung und ohne Studium? Kein Problem! Influencer wie „Professorfinanzen“ empfehlen die Arbeit als Müllmann, Immobilienmakler oder Berufspolitiker, andere Kommentatoren raten zum Berufskraftfahrer, Baufinanzierungsberater oder Tatortreiniger. Das klingt lustig, aber es gibt einen ernsten Kern: Die traditionellen Klassifizierungen in der Arbeitswelt, die nach Hilfsarbeiter:innen, Fach­ar­bei­te­r:in­nen und Aka­de­mi­ke­r:in­nen unterscheiden, verändern sich. Neue Klassen entstehen – und dies liegt erstens am allgemeinen Arbeitskräftemangel und zweitens an der Zuwanderung.

Die Leiterin einer Kita in Berlin erklärt: „Ich muss auf die Osteuropäerinnen setzen“. Die Kita leidet wie alle anderen auch unter dem Fachkräftemangel. Hel­fe­r:in­nen aus der Ukraine arbeiten dort jetzt mit und lernen Deutsch, auch von den Kindern. Die Kleinen freuen sich, wenn sie das Deutsch der Frauen aus der Ukraine verbessern können, erzählt die Leiterin.

Das Beispiel ist zukunftsweisend: In Deutschland fehlen Arbeitskräfte an allen Ecken und Enden. Gleichzeitig gibt es ein Phänomen, das man so noch vor 20 Jahren nicht für möglich gehalten hätte: Die Zahl der Menschen, die in sogenannten Helfertätigkeiten arbeiten, steigt, wie auch eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt. In den Jahren von 2015 bis 2021 wuchs die Zahl der Jobs mit „Helfertätigkeiten“ in Deutschland um 16 Prozent. Der Anteil der sogenannten Fachkräfte mit anerkannter Berufsausbildung legte dagegen nur um 5 Prozent zu.

Dieser Zuwachs der sogenannten Hel­fe­r:in­nen liegt vor allem an Arbeitskräften mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Ein großer Teil der ausländischen Arbeitskräfte kommen aus ost- und mitteleuropäischen EU-Ländern; ein wachsender Teil aber auch aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern. Dass vor allem Aus­län­de­r:in­nen als „Helfer:innen“ beschäftigt sind, bedeutet nicht unbedingt, dass es sich um Leute ohne sogenannte Qualifikationen handelt. Es heißt erst einmal nur, dass deren Qualifikationen nicht in das deutsche Klassifizierungssystem von Bildung passen und/ oder dass es vor allem die unzureichenden Deutschkenntnisse sind, die es den Leuten unmöglich machen, eine Tätigkeit in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf in Deutschland auszuüben.

Der Begriff der niedrigqualifizierten Jobs zeigt eine gewisse Klassenarroganz der Ökonomen

Syrer, die im Heimatland ein kleines Handwerksunternehmen führten, arbeiten in Deutschland als Paketboten. Eritreerinnen, die in Deutschland eine dreijährige Ausbildung zur examinierten Pflegerin machen wollten, bewältigen zunächst nur einen kürzeren Bildungsgang zur Pflegehilfskraft, weil die medizinischen Curricula der Fachkraftausbildung exzellente Deutschkenntnisse erfordern. Ukrai­ne­r:in­nen und Af­gha­n:in­nen besuchen in Deutschland mehrmonatige Kurse als Kita-Assistent:innen, um dann in Kitas mitarbeiten zu können.

Diese Leute füllen die Statistik der 5,3 Millionen Menschen in sogenannten Helfertätigkeiten, und schon allein der oft benutzte Begriff der „niedrigqualifizierten Jobs“ spricht dabei von einer gewissen Klassenarroganz der Ökonomen. Denn natürlich ist es eine Qualifikation, als Pfle­ge­hel­fe­r:in im Akkord alte Menschen zu waschen und deren Inkontinenzmaterial zu wechseln – oder als Pa­ket­bo­t:in­nen 30 Kilo schwere Tierfutterpakete durch Treppenhäuser in höhere Stockwerke zu wuchten. Die „Helfertätigkeiten“ erfordern eine stabile Konstitution, sind verschleißintensiv und relativ gering bezahlt. In einer Gesellschaft, in der man in seinem Job bis ins Alter tätig sein muss, bringen „Helfer:innen“ die größten Opfer.

Damit der Laden läuft

Wis­sen­schaft­le­r:in­nen der sogenannten „Denkfabrik“ über die digitale Arbeitsgesellschaft, die beim Bundesarbeitsministerium angesiedelt ist, nennen diese Tätigkeiten daher auch alternativ Basisarbeit. Basisarbeit sind Jobs, die dringend erforderlich sind, „damit der Laden läuft“, wie es in einem Papier der Denkfabrik heißt. Das alte Credo aus den Nullerjahren, dass die sogenannten niedrigqualifizierten Tätigkeiten verschwinden durch die Automatisierung, hat sich nämlich nicht bewahrheitet. So sind durch die Digitalisierung bestimmte Jobs in der Lagerlogistik erst entstanden. Andere Jobs der sogenannten Qualifizierten, etwa bei den Banken, sind hingegen verschwunden.

„Demografische und Beschleunigungseffekte könnten zu einer Aufwertung von Teilen der Basisarbeit führen“, schreibt der Demografie-Experte Marc Bovenschulte von der Denkfabrik. Ohne die Nettozuwanderung könnte der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahre 2035 um neun Millionen Personen sinken, so Berechnungen der Wissenschaftler. Im Zuwachs durch ausländische Arbeitskräfte liegt allerdings die Gefahr der Ausbeutung: Beschäftigte werden sehr abhängig von ihrem Arbeitgeber, wenn etwa eine Aufenthaltsgenehmigung an eine Erwerbstätigkeit gebunden ist.

Lieber Englisch sprechen

Es ist richtig, dass die Au­to­r:in­nen der Friedrich-Ebert-Stiftung fordern, Beschäftigten in „Helfertätigkeiten“ bezahlte Möglichkeiten der Weiterbildung zu eröffnen, die sich direkt am Bedarf auf dem Arbeitsmarkt orientieren. Dies können zertifizierte mehrmonatige Module an „Teilqualifikationen“ sein, etwa in Maschinenführung, Computer-Lagerverwaltung oder Assistenzen in Care-Berufen. Die Kurse kann man berufsbegleitend absolvieren – mit Sprachförderung bei Bedarf. Im besten Fall lassen sich die Module dann zu einer vollwertigen Berufsausbildung als „Fachkraft“ ausbauen.

In manchen, auch kleineren Firmen könnte man überdies darüber nachdenken, Englisch als Betriebssprache zu etablieren, um ausländischem Fachpersonal qualifiziertere Tätigkeiten zu ermöglichen. Die Arbeitswelt wird sich künftig nach dem Angebot an Arbeitskräften richten müssen. Und nicht umgekehrt.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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