Grüne Migrationspolitik: Lieber investieren als kapitulieren

Auch die Grünen-Chefin fordert jetzt weniger Migration. Damit vollzieht die Partei eine gefährliche Diskursverschiebung mit.

Winfried Kretschmann und Ricarda Lang laufen

Winfried Kretschmann, Grüne, und Ricarda Lang (r), Bundesvorsitzende der Partei Foto: Philipp von Ditfurth/dpa/picture alliance

Die Grünen sind nervös, und sie haben auch guten Grund dazu. Die letzten Landtagswahlen sind schlecht gelaufen, die Umfragewerte deuten weiter nach unten. Die Zustimmung zur Ampelregierung ist bundesweit mies, die AfD dagegen kann Rekordwerte verbuchen. Inhaltlich sind die Grünen in der Defensive, was zwar nicht nur, aber auch an der aktuellen Migrationsdebatte liegt. Und die ist scharf nach rechts abgebogen.

Der Beitrag, den Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Parteichefin Ricarda Lang dazu nun im Berliner Tagesspiegel gemeinsam veröffentlicht haben, ist ein Versuch, wieder in die Offensive zu kommen. Und er ist auch ein Signal in die eigene Partei, sich bei diesem Thema nicht auseinandertreiben zu lassen – deshalb schreiben der Oberrealo und die Linke gemeinsam. In dem Text steht viel Bekanntes, aber auch der bemerkenswerte Satz: „Wenn die Kapazitäten – wie jetzt – an ihre Grenzen stoßen, müssen auch die Zahlen sinken.“

Damit vollziehen die Grünen eine gefährliche Diskursverschiebung mit: dass die Anzahl der Schutzsuchenden auf jeden Fall reduziert werden muss. In der öffentlichen Debatte ist das längst zum obersten Ziel geworden; Teile der Politik liefern sich einen Wettbewerb, wer dabei die härtesten Maßnahmen fordert. Ob diese sinnvoll oder machbar sind? Spielt kaum noch eine Rolle.

Das muss aufhören, sonst treibt man der AfD noch mehr Wäh­le­r*in­nen in die Arme. Ohnehin ist zu befürchten, dass sich die gesellschaftliche Stimmung durch den Krieg in Nahost und Antisemitismus auf deutschen Straßen weiter verschärft.

Grüne machen längst mit bei härterer Migrationspolitik

Nun sind die Grünen in einer schwierigen Lage. Sie müssen Handlungsfähigkeit zeigen; von ihren Koalitionspartnern stehen sie unter Druck. Und nur zu gerne heften die anderen Parteien ihnen das Label an, dass sie tief im Herzen weiter für komplett offene Grenzen seien. Doch die Grünen haben sich davon längst verschiedet. Europäisches Asylsystem, Krisenverordnung, Abschiebungen – sie haben zuletzt Verschärfungen bis an die eigene Schmerzgrenze mitgetragen.

Jetzt werden sie dringend auf der anderen Seite gebraucht: die nach ehrlichen Lösungen sucht, wie das Land die aktuellen Herausforderungen in der Migrationsfrage stemmen kann. Und die der Bevölkerung signalisiert: Wir können das zusammen hinkriegen. Dazu wären etwa Investitionen notwendig, in Wohnungen, Schulen, Kitas. Die Kapazitäten sind ja nicht nur wegen der Geflüchteten knapp – sondern weil die Infrastruktur kaputtgespart worden ist. Was nicht hilft: das Gerede, dass man jetzt sofort die Anzahl der Geflüchteten verringern müsse.

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Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.

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