Werke des Malers Pascha J. F. Weitsch: Als der Harz Kunst wurde

An den Maler Pascha Johann Friedrich Weitsch, geboren vor 300 Jahren als Sohn eines Dachdeckers, erinnern gerade mehrere Ausstellungen in Braunschweig.

Ein Kunstbild, das eine Landschaft mit einem Berg in der Ferne zeigt

Suche nach dem Erhabenen: Pascha J. F. Weitsch, Brocken-Panorama (um 1775) Foto: Claus Cordes/Herzog Anton Ulrich-Museum

Sind Berge schön? Taugen sie als Betrachtungsgegenstand der Kunst? Auf diese Fragen suchten aufgeklärte Zeitge­nos­s:in­nen ab etwa der Mitte des 17. Jahrhunderts neue Antworten. Denn bis dahin hatte gegolten: Berge sind unförmig und scheußlich, Gebirge entgrenzt in ihrer Dimension – und somit gefährlich. In Gestalt der Alpen wurden sie gar zum Topos existentieller Bedrohung mystifiziert: Da donnerten Lawinen und Steinschläge zu Tale, herrschten Unwetter, wilde Tiere, kriminelle Wegelagerer.

Kaum verwunderlich, dass dies alles wenig würdigenden Niederschlag fand in der Kunst oder auch der Literatur. Erst ein philosophischer Sensualismus, oft als übersteigerte Empfindsamkeit, eröffnete neue Sichtweisen auf Landschaft, Meer und das Gebirge. Dazu gehörte unabdingbar das direkte Erleben der Natur, das Gehen und Wandern über Stock und Stein.

Die Umwelt prägte über die Sinneseindrücke nun den menschlichen Verstand und das Bewusstsein. Rasch aber zähmte auch eine neue Ästhetik psychologischer Wirksamkeit das vormals so Bedrohliche: Landschaftsformationen wurde als umso malerischer empfunden, je schroffer sie sich darstellten – aus der sicheren Distanz, in der sich die Betrachtenden einfanden, erregt durch „angenehmen Schauer“ oder „frohen Schrecken“.

Ein Künstler, der von diesem geistigen Perspektivwechsel zu profitieren vermochte, ist Pascha Johann Friedrich Weitsch. 1723 am Harzausläufer mit Blick auf den Brocken geboren, verstarb er 1803; da stand er im Dienste der Braunschweiger Herzöge. Anlässlich Weitschs 300. Geburtstages sichtete das Herzog Anton Ulrich Museum seine Depotbestände aus Malerei, Zeichnung und herzoglichem Porzellan, um dem Jubilar eine umfassende Überblicksausstellung zu widmen. Das Städtische Museum flankiert das mit einer kleinen Kabinettschau sowie Objekten seiner kunsthandwerklichen Sammlung, etwa Weitscher Lackmalerei auf Papiermaché oder Blech. Denn die angewandte Kunst war ein erstes Betätigungsfeld des autodidaktischen Künstlers und blieb für ihn durchgängig bedeutend.

Geistiger Perspektivwechsel

Weitschs Vater, von Beruf Dachdecker, sah in der Bildung Chancen für den Sohn, schickte ihn auf die höhere Schule, die dieser jedoch abbrach. Während der Ausbildung beim Militär wurde dann sein künstlerisches Talent entdeckt: für einen Vorgesetzten, der nicht über die nötigen Mittel zum Kauf verfügte, soll Weitsch zwei Landschaftsgemälde eines bekannten Berliner Malers kopiert haben – zur vollen Zufriedenheit des Auftraggebers. Diese überraschende Begabung gefiel auch Herzog Carl I., der Weitsch 1757 aus dem Militär holte und ihm so die Teilnahme am Siebenjährigen Krieg ersparte.

Stattdessen ging es in die zehn Jahre zuvor gegründete Porzellan-Manufaktur in Fürstenberg an der Weser, genauer in ihre Buntmalerei in der Nähe des Braunschweiger Schlosses. Hier versah Weitsch Geschirr mit Landschaftsbildern en miniature, zuerst wohl mit idealisierten Motiven, später waren es reale Eindrücke aus den Braunschweiger Landen. Sein Meisterwerk wurde ein 200-teiliges Tafelservice mit allen „Städten, Pflecken, Ämtern und Dörfern“ des Herzogtums: Teller, Schalen, Terrinen und Saucieren zieren kleine Prospekte der Residenzstädte Braunschweig und Wolfenbüttel, aber auch Landschaften mit vereinzelten Architekturelementen.

Ein Suppenteller zeigt dann die Silhouette des Brockens in entrückter Luftperspektive. Stets krümmt sich im Bildvordergrund ein Baum malerisch um die Szenerie und beginnt eine Rahmung, Wurzelwerk im Naturanschnitt unten sowie Einzelwolken in der freien Himmelsecke sorgen für eine lockere Schließung. Diese konzentrierte Aufgabe – man fragt sich heute: Gab es eigentlich schon optische Vergrößerungshilfen, um dieses Fieselwerk überhaupt zu erbringen? – band ihn ab 1763 für fünf Jahre an die Werkstatt, Weitsch blieb bis 1774 auf der Gehaltsliste der Manufaktur nachweisbar. Aber glücklich machte ihn diese Arbeit wohl nicht. Um Schwermut vorzubeugen, riet ihm der herzogliche Leibarzt zu ausgiebigen Streifzügen durch die Natur.

„Naturtalent – 300 Jahre Pascha Weitsch“ und „#Weitsch Reloaded – Harz. Fotografie. Heute“:, bis 7. 4. 24, Herzog Anton Ulrich Museum Braunschweig

„Pascha Weitsch zum 300. Geburtstag“: bis 30. 12. 23, Städtisches Museum Braunschweig

Weitsch wurde steter Gast im Harz und auf dem Brocken, seine Naturerlebnisse schlugen sich nieder in unzähligen Skizzen und in der Landschaftsmalerei. Ganz im Sinne der Zeit suchte er das Sublime, das Erhabene, fand es etwa 1769 in der Rosstrappe, einem Granitfelsen über dem Bodetal. Er entwickelt aber keine topografische Tiefenformation, zelebriert stattdessen den schroffen Abgrund im Angesicht des Felsens. Als Stellvertreter der Betrachtenden platziert er zwei kleine Rückenfiguren – einen Zeichner und einen Deklamierenden – in den Bildvordergrund; wirkungsvoll, wenngleich noch weit entfernt von den heroisch überzeichneten Prot­ago­nis­t:in­nen eines späteren Caspar David Friedrich (den ja gerade die Hamburger Kunsthalle groß angelegt ehrt).

Weitschs Bild wurde durch die Aufnahme in die herzogliche Sammlung nobilitiert, deren Leitung er im Alter von 65 Jahren endlich antreten durfte. Es hing dort neben den alten niederländischen Meistern, seinen jahrelangen Studien- wie Inspirationsquellen. Aber, so weiß Haum-Kuratorin Silke Gatenbröcker zu berichten: Es blieb eines von lediglich einer Handvoll Arbeiten, die er dem Herzog überließ – da dieser gar nicht oder schlecht zahlte.

Umfangreicher ist da der Bestand im Städtischen Museum: 15 Gemälde, erhalten aus Schenkungen oder Nachlässen Braunschweiger Bürger:innen, besitzt das Haus. Denn Weitsch verkaufte lieber privat, insgesamt wohl 70 bis 80 Gemälde aus dem eigenem Schaffen. Er unterhielt dazu einen Kunsthandel fremder Werke sowie eine Zeichenschule, er pflegte Kontakte an die Akademien in Düsseldorf und Berlin. Zwei Söhne wurden ebenfalls Maler, einer davon Akademieprofessor.

Sicher: Besonders sein Spätwerk ab 1770, etwa der „Querumer Eichenwald“ in unzähligen idealisierten Varianten, darf heute befremden. Stimmig erscheint es aber im deutschnationalen Kontext seiner Literatenfreunde Klopstock und Gleim, die in der Eiche das Urbild eines germanischen Charakters sahen. Und irritiert dann nicht auch die Idee der „German Roamers“? Dieser Verbund zeitgenössischer Outdoor-Fotograf:innen, die sich seit 2015 erklärtermaßen der Schönheit deutscher Natur verschreiben, lieferte Beiträge zu einem noch bis in den April laufenden, für jeden offenen Fotoprojekt – in den sozialen Medien will man den Harz, 300 Jahre nach Weitsch, nun als „instagrammable“ sehen.

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